Selbsthilfe-Gruppen: was machen 12-Schritte-Gruppen wirklich?

Jeder Betroffene mit einer Missbrauchs-Geschichte wird fast zwangsläufig irgendwann und irgendwo (auch im Internet) mit dem Angebot von 12-Schritte-Gruppen in Kontakt kommen, die Selbsthilfe-Gruppen bei vielen Lebensproblemen, darunter auch sexuellem Missbrauch, anbieten. Angeblich sollen die 12 Schritte zur Heilung vom jeweiligen Lebensproblem führen.

Die bekannteste und älteste 12-Schritte-Gruppe heißt "Alcoholics Anonymous", abgekürzt A.A., im Deutschen auch übersetzt mit "Anonyme Alkoholiker", und ist in der Bevölkerung relativ gut bekannt. Es handelt sich um eine Massen-Organisation mit mehreren Millionen von Mitgliedern.

Weniger bekannte Ableger-Gruppen wie EA (Emotions Anonymous) oder SIA (Survivors of Incest Anonymous) / ISA (Incest Survivors Anonymous) beschäftigen sich rein vom Titel her mehr oder weniger direkt mit Missbrauchs-Thematiken.

Die jeweiligen 12 Schritte bei verschiedenen Gruppierungen / Varianten unterscheiden sich allenfalls in der Formulierung und durch ein paar Abschwächungen (in den öffentlichen Äußerungen werden real benutzte Verengungen wie "nur so" weggelassen). Sämtliche mir bekannten Varianten stimmen in folgenden Grundlinien überein:

Ich habe absichtlich viele weitere Punkte weggelassen und konzentriere mich auf das, was für Betroffene von sexuellem Missbrauch besonders relevant ist, wenn sie wirklich heilen wollen.

Wer meine anderen Texte bereits gelesen hat, kann an dieser Stelle bereits erkennen, dass das obige Programm praktisch das Gegenteil dessen darstellt, was ich für Überlebende von sexuellem Missbrauch empfehle:

Handelt es sich bei 12-Schritte-Gruppen um Sekten?

Bevor ich mit meiner eigenen Analyse starte, hier ein paar wichtige Weblinks, die man unbedingt gelesen haben sollte (Alternativen siehe auch in untenstehender Literatur):

Die deutsche Diplomarbeit http://user.cs.tu-berlin.de/~gator/aa/index.html zeigt auf, dass sich AA geschichtlich aus einer Sekte namens "Oxford-Bewegung" weiterentwickelt hat, deren Gründer zudem auch noch Nazi-Anhänger war.

Wer des Englischen mächtig ist, kommt um die sogenannten Orange Papers nicht herum: http://www.orange-papers.org

Die Orange-Papers beschreiben die Methodiken, die diese sektenartigen Gruppierungen anwenden, sehr ausführlich und eindringlich.

Wer meint, die Orange-Papers seien nicht differenziert genug, dem sei das unten angegebene Buch von Charles Bufe empfohlen, das die Hintergründe noch eindringlicher und kritischer analysiert und durchleuchtet. Insbesondere die bei der Bewertung in Kapitel 10 getroffene Fein-Unterscheidung zwischen "communal AA" und "institutional AA" halte ich für sehr hilfreich. Auch wenn die "communal AA" dort nur 4 von 10 Punkten in der Gesamtbewertung für Kulte bekommt (die "institutional AA" hingegen 9 von 10), so finde ich doch das Fazit bemerkenswert, dass der gesamtgesellschaftliche Schaden wegen der sehr weiten Verbreitung dennoch größer sein dürfte als derjenige von weniger verbreiteten Hardcore-Sekten wie z.B. die Moonies oder Scientology.

Ich trage dieser differenzierten Bewertung hier Rechnung, indem ich die 12-Schritte-Gruppen nicht direkt als Sekten, sondern als "sektenartige Gruppierungen mit weiter Verbreitung" bezeichne. Den von Charles Bufe in den Conclusions verwendeten und von Stanton Peele übernommenen Begriff "cult lite" könnte man auch mit "Light-Sekten" oder "Leicht-Sekten" übersetzen, nur klingt das im Deutschen etwas holprig.

Was sind die wahren Ziele der 12-Schritte-Gruppen?

Das wahre Ziel der 12-Schritte-Gruppen, das sich vom vorgeblichen Ziel der Heilung seiner Mitglieder drastisch unterscheidet, wird von ihrem Gründer Bill Wilson folgendermaßen charakterisiert (Eigenaussage, zitiert nach http://www.orange-papers.org/orange-cult_a2.html#ca_dual_purposes, mit Hervorhebungen von mir):

Our real purpose is to fit ourselves to be of maximum service to God
Im Klartext: die Mitglieder müssen sich verbiegen, um den angeblichen Willen Gottes zu erfüllen. Was der "Wille Gottes" ist, definiert die sektenartige Gruppierung.

Aktivitäten von 12-Schritte-Protagonisten in Betroffenen-Kreisen

Einfluss auf Literatur-Empfehlungen

Bestimmte angebliche "Standard-Literatur" wird für Betroffene von sexuellem Missbrauch immer wieder empfohlen.

Beispiel 1

Das Buch "Aussöhnung mit dem Inneren Kind" von Erika J. Chopich und Margaret Paul, Ullstein Verlag 1993 (neuere Auflagen führen auch Angelika Bardeleben als Übersetzerin mit an) wird immer wieder von allen möglichen Betroffenen als ganz tolles und ungeheuer wichtiges Buch empfohlen und stark propagiert.

Der Titel klingt ja auch toll: Aussöhnung scheint etwas Positives zu sein. Klingt total hilfreich.

Zitat aus Chopich/Paul Seite 52:

Alle Probleme in unserer Gesellschaft stammen von der inneren Spaltung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind.
Wirklich? Wirklich gar alle? Eine sehr gewagte Behauptung.

Seite 53:

Die Schamanen schöpfen aus ihrer sogenannten "weiblichen" Seite, die wir inneres Kind nennen, um zu heilen.
Das klingt total überwältigend und beeindruckend, wie aus dem Paradies, nach dem sich viele sehnen. Die Autoren spielen hier sehr subtil mit den Sehnsüchten ihrer Leser. Doch stimmen diese Behauptungen auch in der Realität? "Geistheilungen" bw "Heilungen ausschließlich durch Gebet" wurden zwar noch bis zum Mittelalter propagiert und praktiziert, haben sich aber zur Heilung sehr vieler (lebensbedrohlicher) Krankheiten nicht durchgesetzt. Außerdem kollidieren derartige "Heilungs"-Methoden mit den deutschen Gesetzen: wer ohne entsprechende medizische / psychotherapeutische Ausbildung derartige Heilungsversprechen abgibt, macht sich u.U. sogar strafbar.

Im Kapitel 11 kommt endlich die wahre Absicht der Autoren zum Vorschein: das ganze Kapitel ist den 12-Schritte-Gruppen als angeblich ganz hervorragendem Heilungsweg gewidmet. Chopich/Paul Seite 206:

Sich auf ein Zwölf-Schritte-Programm einzulassen, ist oft ein wesentlicher Bestandteil der Heilung eines Menschen. [...] Das Zwölf-Schritte-Programm liefert einen unschätzbar wertvollen Rahmen [...]

Vergleichen wir die religiösen Glaubensvorstellungen bei Chopich/Paul mit denjenigen von AA. Mir fällt sofort die Parallele auf, dass religiöser Glaube ganz unverhüllt als Mittel zur Heilung von Krankheiten oder Leiden propagiert wird. Charles Bufe (s.u. Literatur) erklärt dieses Phänomen mit der direkten Übernahme von Glaubensvorstellungen der Oxford-Bewegung durch AA, siehe z.B. Bufe Seite 64:

In the Oxford Groups, the concepts embodied in the steps were prescribed as the cure for sin. In AA, the same principles are prescribed as the cure for alcoholism. Thus, religion is presented as the cure for what is commonly considered a disease.
Ich möchte hinzufügen: dasselbe Grundmuster von Heilung durch Religions-Praktiken wird bei Chopich/Paul nun auch für ein weiteres "Anwendungsgebiet" benutzt: nun dient es plötzlich nicht nur zur angeblichen Heilung von Alkoholismus, sondern sogar zum angeblichen Heilen von Spaltungen und anderen Missbrauchs-Folgen. Im Detail wurden die religiösen Glaubensmuster jedoch an heutige gesellschaftliche Entwicklungen angepasst: anstelle des alttestamentarischen Gottes, der bei AA bereits als "höhere Macht" oder "Gott, wie wir ihn verstehen" aufgeweicht war, wird diese Aufweichung nun auch auf Esoterik, Schamanismus, sogenannte "Spiritualiät" und andere immer populärere Glaubensvorstellungen ausgedehnt.

Das ist jedoch nur Kosmetik: es ändert nichts am eigentlichen Ziel, möglichst viele Anhänger zu gewinnen (bei Charles Bufe auf Seite 158 auch als "expansionism" bezeichnet).

Wie bereits bei Bufe, Orange und weiteren Quellen (siehe auch Wikipedia) dargelegt, berufen sich die Anhänger von 12 Schritten darauf, angeblich nur eine "spirituelle Bewegung" zu sein, der es ausschließlich um "spirituelle Erweckung" gehe. Laut diversen amerikanischen Gerichtsurteilen braucht man diese Verschleierung / Verdrehung jedoch nicht mitzumachen, sondern darf sie durchaus als "religiöse Gruppierung" bezeichnen.

Meine Analyse des Buches von Chopich/Paul: entgegen der vordergründigen Titel-Aussage werden innendrin Empfehlungen gegeben, die Dissoziationen erzeugen oder verstärken können.

Das Buch stellt die kühne Behauptung auf, bei uns allen sei angeblich die Verbindung zwischen innerem Erwachsenen und inneren Kind abgerissen. Es wird der Eindruck erweckt, wir alle seien gestört oder krank, mit uns sei etwas nicht in Ordnung. Nur die vorgestellte "Methode" könne da helfen...

Vergleiche mit anderer Fachliteratur wie dem "Inneren Team" bei Schulz von Thun ergeben: Chopich und Paul reißen aus dem bei Gesunden integrierten inneren Team einseitig zwei bestimmte gegensätzliche Persönlichkeiten oder -Zustände heraus. Sie verstärken deren Gegensätze, indem sie de facto als eigenständige Personen behandelt werden, die angeblich unbedingt miteinander sprechen müssten, anstatt eine wirkliche Integration wie bei Gesunden anzustreben.

Im Klappentext und an vielen weiteren Stellen wird behauptet, dass angeblich eine Integration angestrebt würde. Die praktischen Vorschläge fördern jedoch genau das Gegenteil davon: Patienten werden in einigen der Beispiele (z.B. ab Seite 214) sogar darin unterstützt, von sich selbst in der Mehrzahl zu sprechen.

Im Klartext: hinter dem angeblichen Ziel sollen Multiple Persönlichkeiten erzeugt werden.

Dies deckt sich mit dem (in den Orange-Papers ausführlich dargestellten) Ziel, dass Sekten-Mitgliedern eine Heilung nur versprochen wird, sie in Wirklichkeit aber in andauernder Abhängigkeit von der Gruppe bzw ihrer Ideologie gehalten werden sollen. Kaum etwas nimmt einem Menschen die eigenständige Alltags-Lebensfähigkeit stärker als die bekannten Multi-Symptome.

Bei Betroffenen von Dissoziation ist es von Natur aus leichter, bereits vorhandene Spaltungen auszubauen und zu verschärfen: genau das Gegenteil einer Integration, wie sie z.B. von der ISSD als Leitlinie gefordert wird (siehe http://www.dissoc.de/issd30a.html).

Merksatz: Gesunde Erwachsene spüren die Anwesenheit von Kind-Anteilen nicht ständig.

Gesunde Erwachsene beschäftigen sich auch nicht ständig mit dissoziativen Phänomenen, behandeln innere Anteile auch nicht (beinahe) wie eigenständige Personen und fragen diese Beinahe-Personen auch nicht ständig um Rat.

Folgerung: die Autoren dieses Buches wollen hinter den Kulissen offensichtlich keine gesunden Erwachsenen, sondern kranke Abhängige produzieren.

Genau die ideale Klientel für Sekten oder deren Vorstufen.

Beispiel 2

Das Buch "Trotz allem" von Ellen Bass und Laura Davis, Orlanda Frauenverlag 1990 wird ebenfalls in Betroffenen-Kreise wie eine Art "Pflichtlektüre" behandelt und immer wieder allerwärmstens empfohlen.

Im Kapitel 2 ist unter dem Abschnitt "Religion und Spiritualität" folgendes zu lesen (Seite 144):

Die Zwölf-Punkte-Programme (Anonyme Alkoholiker, Al-Anon und andere, die Millionen Menschen geholfen haben, von ihrer Sucht loszukommen) basieren schon seit langem darauf [deine spirituelle Seite zu entdecken].

Auch wenn das Buch offensichtlich den Schwerpunkt nicht auf "spirituelle Erweckung" oder gar "spirituelle Wiedergeburt" (fast immer ein klares Indiz für sektenartige Umtriebe) legt, sondern eher auf das Spüren der Wut auf den Täter, sich mit Gefühlen wie Schuldgefühlen, Schweigen, Trauer und Zorn auseinandersetzt, und sich darin vom Beispiel 1 deutlich unterscheidet: es gibt mir zu denken, dass ein angebliches "Standardwerk" derart unkritisch mit den Zwölf-Schritte-Programmen umgeht und indirekte Empfehlungen ausspricht, die ich als gefährlich einstufe.

Die 12-Schritte-Gruppen haben offensichtlich auch in manchen Frauenbewegungs-Kreisen bereits gewisse Werbe-Erfolge erzielt.

Verstecktes Recruiting für Zwölf Schritte in Internet-Foren

Wie in http://www.orange-papers.org/orange-cult_a2.html#ca_aggressive_recruiting beschrieben, gibt es anscheinend nur wenig öffentlich wahrgenommene Werbung für *A-Gruppen.

Der zwölfte Schritt verlangt jedoch von jedem Mitglied, dass es neue Mitglieder werben muss. Nach meinen Beobachtungen geschieht diese Werbung u.a. in Internet-Foren, ohne dass sie direkt erkennbar ist.

Zitat aus Bufe Seite 48, mit Hervorhebungen von mir:

The 10th tradition forbids AA from involving itself in "public controversy". And, conventiently, because of AA's anonymity strictures, 12-step "professionals" almost never reveal their AA membership publicly; instead, they appear in the guise of "professionals" when promoting 12-step dogma and when attacking those who publicly disagree with it.

Dieses Phänomen wird in http://www.orange-papers.org/orange-cult_a2.html#ca_deceptive_recruiting auch als hidden agenda bezeichnet.

Die Werbung findet hinterrücks im Geheimen statt.

Derartiges konnte ich seit Jahren gerade auch in meinem Forum beobachten. Manche Recruiter waren bereits seit Jahren aktiv und hatten hunderte von "liebevollen" und total netten Postings geschrieben (Ziel-Verhalten ebenfalls bei Chopich/Paul beschrieben), bevor ihr mehr oder weniger verstecktes Recruiting für 12 Schritte auffiel und ich sie aus meinem Forum entfernen konnte. Eine erklärte Anhängerin von 12 Schritten war sogar bei mir als Moderatorin beschäftigt, bevor mir Teile ihrer "hidden agenda" inhaltlich auffielen -- ich hatte damals noch keine Literatur über 12 Schritte gelesen und kann erst jetzt rückwirkend einiges in diesen Kontext einordnen.

Nach meiner Analyse benutzen mehr oder weniger versteckte Aktivisten u.a. folgende Strategien, die teilweise mit den in den Orange-Papers beschriebenen Strategien übereinstimmen, jedoch ans Internet angepasst wurden und teilweise darüber hinausgehen. Die folgenden Strategien müssen nicht immer notwendigerweise von *A-Recruitern stammen, sondern können in manchen Fällen auch den "ganz normalen" Problemen und Störungen von Missbrauchs-Betroffenen geschuldet sein. Deshalb ist die Wirkung auf die Zielgruppe aber nicht weniger schlimm: ob jemand bewusst die 12-Schritte-Gruppen unterstützt oder lediglich seine eigenen unbewussten Wiederholungs-Muster auf andere überträgt, ändert nichts am erzielten Ergebnis.

Die folgenden Strategien fördern zumindest ein Milieu, das 12-Schritte-Gruppen in die Hände arbeitet. Hier eine (unvollständige) Liste:

Es handelte sich nicht um Einzelfälle, sondern um eine systematische Besiedelung und damit letztlich um eine Unterwanderung durch eine größere Gruppe oder wahrscheinlich sogar durch mehrere gelegentlich miteinander konkurrierende Gruppen, die sich teilweise offenbar von auch von externen Treffen her persönlich kannten. Die Dreistigkeit ihrer Vorgehensweise ist einfach unbeschreiblich; einige ihrer (selbsternannten) "Führungskräfte" glaubten offenbar, alles Recht dieser Welt dieser Welt zu besitzen, um ein fremdes Forum kapern / hijacken zu dürfen. Offenbar traten sie sich dabei manchmal sogar gegenseitig leicht auf die Füße.

Von der Zielrichtung her konnte ich zwei Hauptströmungen ausmachen, die eventuell auf zwei verschiedene Gruppierungen hindeuten könnten. Die einen betonten Esoterik und damit zusammenhängende "Heilmethoden", die anderen betrieben nebenbei gut versteckten Täter-Lobbyismus, der sich gelegentlich auch bis zu Bagatellisierungen von Pädophilie steigern konnte.

Nach offener Diskussionsstellung der Machenschaften von 12 Schritten kam es im Forum zu keiner nennenswerten Distanzierung von den 12-Schritte-Gruppen (auch nach mehrfachen Anregungen wurde immer nur auf die Beziehungs-Ebene ausgewichen) und zwar von keiner der mutmaßlichen Gruppierungen. Dies deutet eher auf konkurrierende interne Strömungen innerhalb derselben Haupt-Bewegung hin.

Auf den ersten Blick mag es seltsam und widerspruchsvoll wirken, wenn Täter-Identifikationen neben Heilungs-Versprechen, dann aber auch wieder neben direktem Abraten von einer Therapie oder einer Beschäftigung mit den Ursachen seiner Lebensprobleme propagiert wurden, und zwar wiederholt und mit emotionalem Nachdruck propagiert wurden. Eine mögliche Erklärung für dieses seltsame Phänomen könnte neben (noch) unvollständiger (jedoch bereits maßgeblicher) Durchdringung des Forums in chaotischen Abspaltungen der 12-Schritte-Gruppen liegen. Laut http://www.coloradoservicegroup.org/sapo.htm gibt es neben ISA und SIA noch sehr viele verschiedene weitere Varianten von 12-Schritte-Gruppen in allen möglichen Schattierungen, die sich irgendwie mit der Opfer-Seite von Sexualverbrechen, manchmal aber auch mit der Täter-Seite beschäftigen. Ein deutscher Internet-Bericht bevorzugt ISA (Incest Survivors Anonymous) und äußert sich kritisch über SIA (Survivors of Incest Anonymous), wo angeblich vermehrt Täter in Doppelrollen sowohl als (angebliche) Missbrauchs-Opfer als auch mit mehr oder weniger offenen Bekenntnissen zu ihrem Täter-Sein aufgetreten sein sollen oder sogar erneute sexuelle Übergriffe in der Gruppe begangen haben sollen. Ähnliche Aussagen über Täter-Freiheit von ISA im Gegensatz zu SIA finden sich auch an anderen Stellen. Wer genaueres darüber wissen will, muss sorgfältig suchen und zusätzlich Web-Archive in Anspruch nehmen.

Nach der Schließung meines Forums habe ich Emails erhalten, die meine Beobachtungen bekräftigen und sogar ausdrücklich bestätigen. Ein Beispiel: es sei verwunderlich, wenn ich (als Foreneigentümer) mich darüber beschwere, dass es faktisch schon lange nicht mehr mein Forum gewesen sei, denn ich hätte ja [ihnen] "die Plattform zur Verfügung gestellt". Diese Verdrehung zeigt mir überdeutlich, dass diese Leute nicht den geringsten Funken von Anständigkeit besitzen, wenn es um die nachträgliche(!) Rechtfertigung ihrer Hinterrücks-Unterwanderung geht, die von ihrer jeweiligen Ideologie u.U. sogar gefordert wird.

Manchmal wurde auch mittels bestimmter Schlüsselwörter miteinander kommuniziert, deren Bedeutung offenbar nur "Eingeweihten" verständlich ist und andere ratlos zurücklässt. In einigen Fällen war mir rückwirkend das Decodieren dieses Jargons möglich, wenn Bezug auf die mir bekannte Literatur genommen wurde.

Achtung! Mehrere verschiedene Gruppierungen agieren deutschlandweit mit einem sehr hohen Personal- und Zeitaufwand, sind offenbar sehr gut organisiert und dürften damit inzwischen so gut wie jedes Missbrauchs-Themen-Forum besetzt und meist auch unterwandert haben.

Daher rate ich Betroffenen ausdrücklich davon ab, in Internet-Foren nach Hilfe zu suchen!

Es gibt in Deutschland Menschen, die sich mit Stolz als Multiple bezeichnen, und die das Beibehalten, ja sogar im Endeffekt das Erzeugen und Verstärken von Spaltungen ausdrücklich als "erstrebenswert" propagieren. Dies weiß ich aus erster Hand: als ich vor Jahren an einem Chattertreffen eines Forums teilnahm, das es heute nicht mehr gibt, wurde mir genau dies im persönlichen Gespräch erklärt, und zwar von mehreren Teilnehmerinnen (die sich augenscheinlich auch gut kannten). Mir wurde "beigebracht", dass MPS / DIS (man beachte die Reihenfolge: das "DIS" wurde erst auf meinen Einwand hin hinzugefügt, dass es die Diagnose MPS schon seit langem nicht mehr gibt) keine psychiatrische Störung, sondern angeblich ein ganz toller Zustand sei, wenn man es "zulassen" würde, dass angeblich mehrere echte Personen im gleichen Körper wohnen würden, denn dann sei das angeblich ungeheuer bereichernd für das Leben! Und es sei toll, immer wieder neue "Personen" zu entdecken (die alle schon vorher dagewesen seien und die man dann endlich "entdeckt" hätte) und mit denen in Kontakt zu treten!

Leider kannte ich damals die hirnorganischen Mechanismen und das durchschlagende Argument mit der gemeinsamen Gehirn-Ressourcen-Nutzung der impliziten Gedächtnisse (die hätten trainiert werden müssen) noch nicht so genau, so dass ich einen anderen Einwand brachte: auf meinen Einwand hin, dass alle mir bekannten Multis augenscheinlich ganz gewaltige Probleme mit ihrem Alltags-Leben haben, wurde mir erklärt, dass man das eine nicht mit dem anderen aufwiegen könne -- das Multi-Sein würde sie persönlich auf gar keinen Fall mehr missen wollen!

Dies ist für mich ein klarer Beweis dafür, dass die oben beschriebene Strategie von absichtlicher Erzeugung / Verschärfung von Spaltungen ganz real existiert und sogar als angeblichem "Heilungsweg" propagiert wird -- denn wer integrieren wolle, der sei angeblich auf dem "Holzweg" (wörtliche Formulierung, mit emotionalem Nachdruck mir gegenüber vorgetragen).

Wer es nicht glaubt, dass in Deutschland wirklich Leute herumlaufen, die allen Ernstes das absichtliche Erzeugen von psychiatrischen Störungen wie Dissoziationen befürworten und propagieren, sollte sich folgendes ansehen:

Wessen Interessen so etwas dient, kann man sich leicht ausrechnen.

Ideologische Auseinandersetzung

Was die 12 Schritte machen, wie sie funktionieren und was sie bewirken, ist in den angegebenen Quellen (und vielen weiteren) bereits genügend beschrieben worden. Ich versuche in diesem Abschnitt, die Ideologie aus einem weiteren Blickwinkel kritisch zu durchleuchten.

Die 12-Schritte-Lehre ist nicht nur (wie in der Literatur beschrieben) eine leicht veränderte Variante der Lehre der Oxford-Bewegung (z.B. deutlich sichtbar im oben zitierten Schlusssatz von Chopich/Paul "Wenn wir uns heilen, heilen wir die Welt"), sondern hat nach meinem Dafürhalten deutlich ältere Wurzeln. Es dürfte kein Zufall sein, dass auch katholische Patres (Jesuiten) bei der Oxford-Bewegung mitgewirkt haben und es auch entsprechende Kontakte zwischen ihnen und Bill Wilson gab. Ich will damit nicht den evangelikalen Hintergrund der Oxford-Bewegung und seine lutherischen / reformatorischen Anteile leugnen, sondern eine Facette ergänzen, die möglicherweise bisher noch nicht genügend Beachtung gefunden hat.

Der Grundaufbau mit der demütigen Bekenner-Haltung (Schritt 1 und auch in praktisch allen Nachfolge-Schritten, besonders in Schritt 7) kommt mir aus meinem eigenen Lebenslauf sehr bekannt vor: es handelt sich beinahe um eine Kern-Einstellung des konservativen Katholizismus.

Wer den Schritt 1 durchgeführt hat, der hat im übertragenen Sinne letztlich nichts anderes als eine Kniebeuge vor einer Art "Tabernakel" gemacht.

Dieses Konzept stammt ideologisch aus der Monarchie, als die Untertanen vor ihrem Herrscher auf die Knie fallen mussten (ansonsten riskierten sie ihren Kopf). Bekanntermaßen waren im Mittelalter die Grenzen zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft teilweise sehr fließend.

Ich finde in den zwölf Schritten noch eine weitere interessante Parallele: alle Elemente, die auch bei der katholischen Beichte eine zentrale Rolle spielen. Die klassischen 5 B's der katholischen Beichte lauten folgendermaßen:

  1. Beten
  2. Besinnen
  3. Bereuen
  4. Bekennen
  5. Büßen / Bessern
Lediglich die Reihenfolge ist bei den 12 Schritten anders als bei der Beichte. Außerdem kommt es bei den 12 Schritten zu Wiederholungen der katholischen Beicht-B's. Das B 1 entspricht dem Glauben an die "höhere Macht" von Schritt 2 sowie Schritt 11. Das B 2 entspricht der Inventur von Schritt 4 und Schritt 8. B 3 entspricht Schritt 10. B 4 entspricht Schritt 5. B 5 entspricht Schritt 9. Sogar das "Ego te absolvo" kann ich ansatzweise im Schritt 11 erkennen, es wird lediglich nicht von einem Priester vermittelt und entspricht damit stärker den lutherisch / reformatorischen Traditionslinien.

Der Hauptunterschied zwischen der katholischen Beichte und den zwölf Schritten besteht darin, dass das eine angeblich zur Reinigung der Seele dienen soll, das andere jedoch zur Heilung einer (angeblichen) Krankheit.

Ein weiterer Unterschied: eine katholische Beichte dauert nur wenige Minuten, einschließlich Vorbereitung vielleicht maximal eine halbe Stunde; danach wird man vom Priester aus dem engen Beichtstuhl in die Welt entlassen. Die zwölf Schritte sind jedoch ein lebenslanges Dauer-Programm. Praktisch so, als müsste man sein gesamtes Leben im Beichtstuhl verbringen.

Worum geht es in der Quintessenz?

Es geht ähnlich wie bei einer Dauer-Kniebeuge um den absoluten Gehorsam gegenüber einer "höheren Macht".

Man verkauft seine Seele an die "höhere Macht", um dafür als Gegenleistung die angebliche Heilung seines Leidens zu erhalten.

Dieses Geschäft wird jedoch nicht nur mit dem bloßen Versprechen einer Heilung betrieben, sondern obendrein auch mit einem zeitlichen Verzug: zuerst muss man seine Seele an die "höhere Macht" verkaufen. Irgendwann später folgt dann angeblich die Heilung, sofern(!) man alle 12 Schritte erfolgreich(!) absolviert hat und dabei nichts "falsch gemacht" hat. Die Bedingungen sind jedoch so hart und ihre wirkliche Einhaltung ist vor allem wegen der schwammigen Definition von "spiritueller Erweckung" derart unüberprüfbar, dass es beim Ausbleiben der Heilung keine Reklamationsmöglichkeit gibt.

Sieht so ein faires Geschäft aus?

Da der Wille der "höheren Macht" im Endeffekt von der sektenartigen Gruppierung definiert wird, bedeutet dieses Geschäft nicht geringes als die

Versklavung an die Gruppe

Ganz deutlich kommt dies in der zwölften Tradition zum Ausdruck, in der es heißt:

Prinzipien [sind] über Personen zu stellen

Im Klartext: der Einzelne zählt nichts, die Gruppen-Prinzipien sind absolutes Gesetz. Das Mitglied unterliegt der Kontrolle durch die Gruppe. Ähnlich wie in einer Diktatur.

Es dürfte kein Zufall sein, dass unter den Gründern der Oxford-Bewegung auch bekennende Nazis waren (siehe Literatur). Einige Überreste von faschistoiden Ideologie-Anteilen sind auch heute noch in den "12 Traditionen" der 12-Schritte-Bewegung zu erkennen.

Das von mir wiederholt beobachtete systematische Mobbing, das wie ein roter Faden die Geschichte von Aufrecht mit Utus Texten durchzieht und als "die Gruppe reguliert sich selbst"-Parole gerechtfertigt wurde, obwohl es im krassen Gegensatz zur Fassade der "unbedingten Liebe" steht, weist ebenfalls in diese Richtung. Es zeigt das wahre Gesicht dieser Bewegung.

Weitere Beispiele von systematischem Mobbing durch 12-Schritte-"Freunde" sind bei Orange beschrieben.

Es wird ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse zwischen dem Mitglied und der Gruppe erzeugt, das strukturell dem Macht-Ungleichgewicht beim sexuellen Missbrauch eines Kindes entspricht.

Das Ziel:

Dem Opfer die Autonomie zu nehmen.

Auch ein sexueller Missbrauch richtet sich im Kern gegen die Autonomie des Kindes.

Leider kennen viele erwachsene Opfer ein ähnliches Milieu nur zu gut aus ihrer Kindheit, haben dieses nur unzureichend hinterfragt und aufgearbeitet, und sind daher für Wiederholungen ähnlicher Verhaltensmuster um so anfälliger.

Konzeptuelle Nähe zu Täter-Rechtfertigungen

Die angebliche Machtlosigkeit gegenüber dem jeweiligen Lebensproblem sowie das von *A verfochtene Krankheits-Konzept und ihr großflächiger Einfluss auf die klinische Medizin (siehe http://user.cs.tu-berlin.de/~gator/aa/aa_5.html) ist von den o.g. Veröffentlichungen bereits kritisch durchleuchtet worden.

Zitat aus Chopich/Paul Seite 62, mit Hervorhebungen von mir:

Unsere Verletzung, unsere Angst und Furcht jedoch werden durch unsere Überzeugungen hevorgerufen [...] und es ist wichtig zu erkennen, dass es sich um eine Ego-Überzeugung handelt [...] und dass sie deshalb falsch ist, weil alle(!) Ego-Überzeugungen falsch sind. Das höhere Selbst hat keine Überzeugungen. Es ist sich nur der Wahrheit bewusst [...]

Meine Meinung: das ist Sekten-Bullshit in Reinkultur!

Die Autoren maßen sich an, über Wahr und Falsch generell urteilen zu können, und die absolute Wahrheit ein für allemal an einem bestimmten Ort verorten zu können.

Worin besteht diese angebliche "Wahrheit" in Bezug auf sexuellen Missbrauch?

Nicht etwa die Täter und ihre Taten (die geflissentlich nicht als solche bezeichnet werden, auf deren Verzeihung sogar ausdrücklich hingearbeitet wird, z.B. Seite 221, Patientin am Schluss der Sitzung: "Ich fühle keine Wut mehr auf ihn[...]", darauf die Therapeutin: "Das war gute Arbeit"), auch nicht unsere natürlichen durch Jahrmillionen an Evolution geformten Angst-Reaktionen vor tatsächlich erlebter Lebensgefahr, sondern einzig und allein nur wir Betroffenen selbst sind angeblich an allem Schuld, wegen unseren angeblich falschen Überzeugungen. Die "richtigen" Überzeugungen bzw die absolute Wahrheit kann uns angeblich nur unsere "universale Gott/Göttin-Energie" lehren.

Ich wiederhole meine Meinung: das ist Sekten-Bullshit in Reinkultur!

Das 12-Schritte-Programm führt praktisch zwangsläufig zu einer Identifikation mit Tätern:

Der Schritt 1 streitet die menschliche Willensfreiheit pauschal ab. Mit demselben Argument kann man auch Pädophilie als "Krankheit" deklarieren, für die ein Pädophiler nichts könne, da er ja "machtlos" gegenüber seinem Trieb sei (analog zu Alkoholikern).

In der Liste der unterschiedlichen *A-Gruppen http://de.wikipedia.org/wiki/Zw%C3%B6lf-Schritte-Programm fehlt also der Vollständigkeit halber noch PA als Abkürzung für "Pedophile Anonymous".

Wer meint, dies sei ein unpassender Witz, und ich würde mich hier nur auf billige Weise über ein sehr ernstes Thema lustig machen, der irrt.

Gewisse Mediziner benutzen tatsächlich eine ähnliche Argumentation, um die Pädophilie zu erklären!

Wie in den o.g. Veröffentlichungen beschrieben, gibt es eine natürliche Allianz zwischen Medizinern und *A-Gruppen: beide profitieren von dem angeblichen Krankheits-Konzept.

Den einen bringt dies Mitglieder, den anderen Patienten.

Kein Wunder, wenn sie wie in den Orange-Papers beschrieben Hand in Hand arbeiten.

Übrigens: es gibt auch 12-Schritte-Kliniken und 12-Schritte-Therapeuten. Diese werden auch von meinen Krankenkassen-Beiträgen mitfinanziert, ob ich das will oder nicht ....

Sonstiges

Wer die Gefährlichkeit und Bösartigkeit dieser sektenartigen Gruppierungen nicht glauben kann, sollte sich folgendes ansehen, was besonders für Missbrauchs-Betroffene relevant ist:

Das Gegenteil von Auflösung der Schuldgefühle: http://www.orange-papers.org/orange-cult_a4.html#ca_powerlessness

Sexueller Missbrauch in *A-Gruppen: http://www.orange-papers.org/orange-cult_a5.html#ca_no_respect

Dem letzteren ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Literatur

Charles Bufe, Alcoholics Anonymous: Cult or Cure? See Sharp Press, Tucson, Arizona, 1998.