Zusammenfassung: das A und O beim Herauskommen aus drängenden Krisen ist, selbst die Initiative bei der Hilfe-Suche zu ergreifen und sich nicht vom Gesundheitswesen treiben oder sich gar in die nächstbeste Psychiatrie einweisen zu lassen, sondern die Heilung bewusst selbst in die Hand zu nehmen! Informiere dich über die Vor- und Nachteile von Therapieformen, lerne seriöse von unseriösen Angeboten zu unterscheiden. Dies kann dir niemand abnehmen. Du bist es dir selbst schuldig, für deine Heilung auf gute Weise zu sorgen!
Inhaltsverzeichnis:
Diese Frage taucht immer wieder auf. Ich selbst habe zwar keine Erfahrungen mit Trauma-Kliniken, aber ich habe inzwischen einiges dazu beobachtet und von anderen Überlebenden erfahren.
Die meisten Überlebenden (einschließlich mir selber) versuchen am Anfang, professionelle Hilfe jeglicher Form so lange wie möglich hinauszuschieben, oder sie flüchten sich in Pseudo-Hilfen, die lediglich das Gewissen beruhigen sollen. Neben der ganz normalen Scheu, sich mit "heißen" Themen wie Missbrauch auseinanderzusetzen, spielen hier vor allem die typischen Verleugnungs- und Verdrängungs-Mechanismen eine Rolle, die letztlich eine indirekte Folge ihrer Traumatisierung darstellen und vom Betroffenen selbst kaum wahrgenommen werden (Betriebsblindheit in eigener Sache). Hinzu kommen in manchen Fällen negative Vorerfahrungen wie Psychiatrie-Schäden, meist durch Aufenthalte in Akut-Psychiatrien, wo die Ärtze nicht selten von Trauma-Behandlung überhaupt keine Ahnung haben und im günstigsten Fall außer Ruhigstellen durch Medikamente nichts wirklich Helfendes zu bieten haben, oder in manchen Fällen durch Fehldiagnosen wie Schizophrenie und Psychose-Zuweisungen Schaden anrichten und die Situation weiter erschweren. Dies kommt jedoch vor allem in Akut-Kliniken bzw. Akut-Psychiatrien vor, weniger hingegen in spezialisierten Trauma-Kliniken, die sich mit den Problemen von Betroffenen zumindest auf dem Papier auskennen (sollten) und durchaus hilfreich sein können.
Allerdings erhalte ich von anderen Betroffenen oft Rückmeldungen über Klinken und deren Personal-Ausstattung, die manchmal nicht gerade von besonderem Einfühlungsvermögen in Betroffene von sexuellem Missbrauch und Inzest zeugen.
Daher ist es von enormer Wichtigkeit, selbst darauf Einfluss zu nehmen, wo man landet.
Leider lässt unser Krankenkassen-System in Krisen-Situationen keine Wahl, wo man landet. Für einen Platz in einer Trauma-Klinik muss man nicht nur Wartezeiten in Kauf nehmen, sondern meist auch Anträge schreiben und manchmal aufreibende Begutachtungs-Prozeduren über sich ergehen lassen.
Typischerweise befinden sich Betroffene oft in einer schweren akuten Krise, wenn sich die Frage der Therapie-Art stellt. Vielen Betroffenen geht es in solchen depressiven Phasen buchstäblich dreckig; es gibt oft (zumindest drohende) Einschränkungen des Lebens wie Verlust sozialer Beziehungen, Arbeitsplatzverlust, drohender sozialer Abstieg. Positiv daran ist, dass einen die Krise dazu zwingt, etwas für die Heilung zu unternehmen. Auf der anderen Seite kann die Krise (insbesondere Suizid-Handlungen, die einem nicht selten den Borderline-Stempel aufdrücken können) aber auch bewirken, dass eine nicht zuträgliche Dynamik in Gang kommen kann, vor allem wenn man mehr oder weniger "freiwillig" in eine Akut-Klinik verfrachtet wird. Unser Gesundheitswesen macht das nämlich in Akut-Fällen ganz automatisch. Das geht sogar so weit, dass man oft nicht einmal den Ort bestimmen kann; man wird einfach in die nächstgelegene Psychiatrie gesteckt (viele gesetzliche Kassen lassen weiter entfernte Kliniken nicht zu), egal, ob die Klinik von Trauma Ahnung hat oder ob sie dem veralteten Glauben anhängt, alles komme ausschließlich von einer fehlerhaften Körperchemie (selbst wenn man ausdrücklich auf die Trauma-Vorerfahrung hinweist; diese Leute können also die neueren Erkenntnisse der Trauma-Forschung gar nicht zur Kenntnis genommen haben!) und mit Psychotherapie könne man nach ihrer Ansicht sowieso nichts ausrichten (was dem Betroffenen den Mut und die Perspektive rauben kann, wenn man von angeblichen "Fachleuten" so etwas gesagt bekommt). Solche Einstellungen sind leider in manchen Psychiater-Kreisen immer noch verbreitet - da es für sie Geld einbringt.
Ich kenne Fälle, in denen diese Psychiatrie- und Krankheitszuschreibungs-Dynamik von einem weiteren Faktor angetrieben wird: um arbeitsunfähig geschrieben zu werden, muss man sich anfangs an einen Arzt oder Psychiater wenden (ein Psychologe hat dazu im Normalfall keine Möglichkeit, weil er in dieser Hinsicht von unserem Gesundheitswesen benachteiligt wird). Dieser Arzt oder Psychiater braucht bei fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit eine Begründung. Die einfachste und insbesondere in die traditionelle Gesundheitswesen-Dynamik am besten eingepasste "Lösung" besteht darin, dem Patienten eine "Krankheit" aus dem psychotischen Formenkreis zuzuschreiben. Dann kriegt der Patient, was er aus Sicht des Arztes / Psychiaters am dringendsten zu brauchen scheint; der hauptsächlich für organische Krankheiten ausgebildete Arzt / Psychiater verliert einen wichtigen Dauer-Patienten nicht, und die Pharma-Industrie profitiert schließlich auch davon. Manche Überlebende machen wegen der Krankschreibung, auf die sie existentiell angewiesen sind, diese Art von Fehlbehandlung freiwillig und absichtlich mit!
Hinzu kommt, dass Überlebende in einer Akut-Klinik oft nicht darüber reden können, dass sie Überlebende sind, oder entsprechende Hinweise werden von "geschienten" (voreingenommenen) Akut-Psychiatern ignoriert oder im Extremfall sogar als Anzeichen für das angebliche Vorhandensein von Halluzinationen gewertet (so geschehen in einem Fall, in dem eine Frau vom Missbrauch durch ihre Mutter berichten wollte). Dann ist die Fehlbehandlung schon so gut wie vorprogrammiert.
Ein wichtiges Problem stellt also unser Gesundheitssystem und sein Umgang mit akuten Notfällen dar.
Daher ist mein wichtigster Rat: lasse es nicht auf eine Notfall-Einweisung in die nächstbeste Psychiatrie ankommen! Bestimme selber, wohin Du kommst, auch wenn das lange Wartezeiten und Anträge bedeutet! Warte auf keinen Fall, bis sich Deine Krise soweit verschlimmert hat, dass überhaupt nichts mehr geht, sondern handele jetzt!
Gegenüber dieser Hauptproblematik erscheint mir die Frage zweitrangig, ob man lieber in eine spezielle Trauma-Klinik gehen sollte oder eine fundierte ambulante Therapie machen sollte. Beide haben leider Wartezeiten, und beide haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile.
Ich kenne einige wenige Betroffene, die von einer Trauma-Klinik nach eigenen Angaben sehr profitiert haben und dort deutliche Heilungs-Fortschritte gemacht haben. Allerdings kam keiner der mir bekannten mit einer Klinik alleine aus; ambulante Fortsetzung war fast immer der nächste logische und notwendige Schritt. Daher ist ist die Klinik-Frage keine Alternativ-Frage, sondern fast immer eine Zusatz- und Ergänzungs-Frage.
Manche Betroffene erhoffen sich von wenigen Wochen oder Monaten in einer Trauma-Klinik die endgültige Lösung all ihrer Probleme. Hier sollte man realistischer sein! Trauma-Kliniken haben auch Nachteile: zwar kann man meistens mitbestimmen, in welcher Trauma-Klinik man landet, aber bei der Zuweisung eines Therapeuten innerhalb der Klinik werden diese Wahlmöglichkeiten meistens schon wieder sehr dünn. Wenn man das Pech hat, einen Therapeuten zugewiesen zu bekommen, der einem nicht so sympathisch ist oder der einen nicht so gut versteht oder mit dem die Zusammenarbeit nicht so gut klappt, dann ist die Zeit in der Klinik u.U. zu einem großen Teil vertan. Dieses Problem hat man bei ambulanter Therapie weit weniger, denn da gibt es meist deutlich mehr Wahlmöglichkeiten (die man allerdings auch nutzen sollte).
Im Rest dieses Artikels werde ich mich nur noch mit ambulanter Therapie beschäftigen.
Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen im Regelfall nur die folgenden Therapieformen:
AT: klassische analytische Therapien sind "hochfrequent", d.h. man geht drei- bis fünfmal pro Woche zum Therapeuten. Dieser hohe Zeiteinsatz ist dafür gedacht, um tief reichende (unbewusste) Lebens- und Krankheits-Muster aufdecken zu können und um grundlegende Änderungen in der Persönlichkeits-Struktur angehen zu können.
Kennzeichen von klassischer AT ist, dass der Therapeut sich selber vollkommen zurückhält (Abstinenz-Gebot) und damit eine Art "weiße Leinwand" anbietet, auf die der Klient seine Übertragungen projiziert. Mit diesen Übertragungen wird anschließend gearbeitet. Da viele Übertragungen unbewusst geschehen, stellt dies einen der Zugänge zum Unbewussten dar. Daneben wird auch mit Träumen als weiterem Zugang zum Unbewussten gearbeitet. Vergangenes und Verdrängtes sowie formende Kindheits-Erlebnisse nehmen in der AT einen relativ großen Raum ein.
Inzwischen gibt es auch analytische Gesprächs- und Kurzzeit-Therapien, die nicht mehr mit klassischen Projektionsflächen wie einer Couch, sondern ähnlich wie PT (siehe nächster Abschnitt) im Gespräch arbeiten.
PT: eigentlich muss es korrekt "tiefenpsychologisch fundierte Gesprächstherapie" heißen. Diese Therapieform hat sich aus der AT entwickelt und daraus abgespalten. Der Therapeut macht kein "Blechaffengesicht" zu allem, was man ihm sagt, sondern ist Gesprächspartner, der auch reagieren kann und auch seine Gegenübertragungen in das Gespräch mit einbringen kann (was meist Aha-Effekte beim Patienten auslöst). Die Aufdeckung von Unbewusstem findet hier vor allem im Gespräch, und zwar im Rahmen einer therapeutischen Beziehung statt. Dies ist eine Art "Probe-" oder "Übungs-Beziehung", in der man Neues lernen und auch ausprobieren kann.
VT: dieser Ansatz ist aus einer revolutionären Opposition gegen AT und PT entstanden. Reine VT in ihrer Ursprungsfassung lässt das Unbewusste, Übertragungen und vor allem die Vergangenheit (insbesondere auch die Kindheit) links liegen und konzentriert sich auf das Jetzt und die Zukunft. Auch wenn einige moderne VT-Richtungen inzwischen Übertragungen ansatzweise mit einbeziehen: Verhaltenstherapeuten arbeiten konzeptuell ausschließlich mit der Lerntheorie: demnach ist alles "erlernt", und um etwas zu ändern, muss man lediglich "umlernen". Um die Ursachen kümmert sich reine VT absichtlich nicht, sondern verweist (meist stolz) darauf, dass sie durch ihre konkreten Anleitungen und Übungen angeblich die besten Erfolge in kürzester Zeit erzielen könne.
Im Allgemeinen hat die Persönlichkeit des Therapeuten und das Funktionieren einer therapeutischen Beziehung einen großen Einfluss auf den Erfolg. Dennoch ist es nicht egal, welche Therapieform man wählt. Es gibt mehrere Gesichtspunkte:
Bei AT werden im Regelfall die meisten Stunden von der Krankenkasse genehmigt, meist 180 bis zu 300 Stunden (einschließlich Verlängerungen). Umgekehrt wird bei VT am wenigsten genehmigt, anfangs meist nur 25 Stunden, die auf 50 verdoppelt werden können und in Ausnahmefällen auch auf maximal 80 bis allerhöchstens 100 Stunden weiter verlängert werden können (sofern die erfolgreiche Überwindung bürokratischer Hürden gelingt). Danach hat der Heilungseffekt vollkommen eingetreten zu sein, und es gibt zumindest während einer Sperrfrist (meist 2 Jahre) kein Geld mehr für weitere Stunden. Die genehmigte Stundenzahl für PT liegt meist in der Mitte zwischen AT und VT.
Viele Betroffene, die entweder eine VT wärmstens empfohlen bekommen haben oder bei der Auswahl nicht auf die Therapieform geachtet haben, erleben deshalb bei VT nach einer Weile, in der es scheinbar ganz gut lief, eine böse Überraschung: genau dann, wenn sie Hilfe am dringendsten brauchen (z.B. weil nach anfänglicher Amnesie jetzt die Erinnerungen hochdrängen), bekommen sie keine Hilfe mehr von unserem Gesundheitssystem und werden alleingelassen.
Ich wage hier öffentlich zu behaupten, dass VT in der Form, wie wie von der Kasse genehmigt wird, rein von der Stundenzahl her ungeeignet ist, um mit den schweren Verletzungen fertig werden zu können, die nach einem sexuellen Missbrauch unweigerlich auftreten. Auch wenn manche "Fachleute" (hauptsächlich Verfechter der VT-Ideologie) das Gegenteil behaupten.
Wie oben bereits erwähnt, ähneln sich AT und PT in der Methodik und Zielsetzung (Arbeit mit Unbewusstem, Vergangenem und tief Eingegrabenem), während VT einen hierzu genau entgegengesetzten Ansatz verfolgt.
AT- und PT-Therapeuten haben in ihrer langen Ausbildung gelernt, mit den Übertragungen umzugehen, die der Patient gerade bei sexuellem Missbrauch besonders stark auf sie projiziert. Diese Übertragungen geschehen unbewusst und ganz automatisch wie das Atmen, lassen sich also nicht einfach abstellen. Wenn man mit ihnen richtig umgeht, stellen sie einen Schlüssel zur Aufdeckung und zur Heilung dar.
Die VT-Ideologie ignoriert diese Übertragungen: entweder wird versucht, sie zu unterdrücken (was nicht gelingen kann), oder sie werden absichtlich beiseite geschoben. Damit wird weit mehr verschenkt als nur ein Schlüssel zur Heilung: im schlimmsten Fall verschärfen sich die Probleme, die durch die Übertragung herauskommen wollen.
Dies stellt meiner Ansicht nach einen weiteren Grund dar, zumindest bei PTBS (wenn man von Erinnerungen überschwemmt wird), bei DIS oder anderen schweren Störungen nicht auf die Karte VT zu setzen: selbst wenn manche VT-Therapeuten inzwischen das Vergangene und die Traumatisierung ebenfalls als Gegenstand ihrer Behandlung zulassen (schließlich stellt die Zielgruppe der Traumatisierten einen großen Teil des "Marktes" dar): was damals wirklich los war und was wirklich beim Missbrauch geschehen ist und was das Scheckliche mit einem wirklich bis in den letzten Winkel der Seele gemacht hat, welche Gefühle dabei hochgekommen sind und gleich wieder unterdrückt werden mussten, das interessiert die meisten dieser Therapeuten nach wie vor nicht - und zwar aus Prinzip. Man übt stattdessen neue Verhaltensweisen ein.
Manche Betroffene, die zu Abspaltungen ihrer Gefühle neigen, werden fatalerweise durch diese Therapieform auch noch angezogen - weil sie sich nicht mit den schmerzhaften Dingen auseinandersetzen müssen, ohne deren Bearbeitung keine Heilung möglich ist. Die Abspaltungen können dadurch noch weiter zementiert werden. Und leider kann man als Betroffener seine eigenen Abspaltungen und Introjekte nicht erkennen - ein fataler Teufelskreis, bei dem der VT-Therapeut unbewusst zum Mithelfer einer Vermeidungsstrategie gemacht wird.
Die Gefühle sind das A und O bei der Heilung, aber ausgerechnet diese werden bei VT ignoriert, nicht wirklich ernstgenommen, nicht bearbeitet. Eine Parallele zu dem, was der Täter seinerzeit mit den Gefühlen des Opfers gemacht hat - und was auch manche Opfer daraufhin mit sich selber machen.
Ich kenne Betroffene, die teilweise bereits seit mehr als 20 Jahren VT machen (mit vielen Unterbrechungen, in denen die Kasse nicht bezahlt hat). Trotzdem haben sie immer noch Probleme und kommen nicht wirklich mit ihrem Leben zurecht, es haut sie desöfteren immer noch in tiefste Löcher. Dann beschwören sie ihre mehr als 20 Jahre Therapie-Erfahrung und machen sich mit ihren unzweifelhaft ebenfalls vorhandenen Therapieerfolgen Mut, um die Krise irgendwie zu überstehen. Woher kommt dies?
Eine Antwort steht im Unterartikel über unbewusste Therapie-Vermeidung - nur lesen, wer Satire verträgt!
Bei AT und PT geht es um die Fundamente der eigenen Persönlichkeit. Gerade diese werden jedoch bei VT absichtlich nicht bearbeitet, dort zählt nur der Schein an der Oberfläche.
Wer einen persönlichen Schaden an diesen normalerweise nicht direkt sichtbaren (unbewussten) Teilen seiner Psyche zu reparieren hat, der begeht einen Riesenfehler, wenn er sich (anstatt den mühsameren Weg des Grabens nach den Ursachen und nach den ursächlichen Gefühlen zu gehen) ausgerechet um diejenigen Teile nicht kümmert, die in Wirklichkeit die äußerlich sichtbaren Schäden verursachen!
Eine andere Überlebende, die mehr als 10 Jahre VT (mit Unterbrechungen) gemacht hat, bei der ihre Erinnerungen einfach nicht ernst genommen und erst recht nicht behandelt wurden (stattdessen alles mögliche andere, besonders die Essstörung behandelt wurde), hat mir einmal sinngemäß folgendes gesagt: "ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, eine weitere Therapie zu machen - schon wieder alles mit einer weiteren Schicht übertünchen!". Für sie war offenbar Therapie = VT. Andere Therapieformen kannte sie nicht, kamen demzufolge auch nicht für sie in Frage - sie hatte nicht mal eine Idee davon.
Wie stark die anfängliche Wahl einer Therapieform ein ganzes Leben beeinflussen kann, ahnen vermutlich nur wenige Menschen - die meisten können sich das einfach nicht vorstellen.
Wie viele Überlebende ausgerechnet Therapie als unbewusste Vermeidungsstragie benutzen, wird man wohl niemals herauskriegen können.
Nachdem ich von VT als Grund-Therapie ganz klar aus mehreren Gründen abrate, bleibt die Frage, ob man AT oder PT wählen soll.
Rein von der Methodik und Zielsetzung her sind beide geeignet. Daher müssen wir jetzt unser Augenmerk auf weitere, weniger offensichtliche Aspekte legen.
Zunächst einmal sind AT und PT miteinander verwandt. AT steht im Ruf, noch tiefer zu schürfen als PT und gründlicher zu sein. PT steht hingegen im Ruf, bessere Ergebnisse etwas schneller zu liefern als AT.
Was nun wirklich besser ist, darüber können sich selbst Fachleute nicht einigen. Ich denke, dass man sich beides ansehen und dann entscheiden sollte, womit man voraussichlich besser zurechtkommen wird.
Ich selber habe mit PT ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Durch die Therapie meines Sohnes (ambulante Kinder- und Jugendlichen-Therapie, eine Sonderform von Kurzzeit-AT) habe ich auch Kontakt zu einer sehr netten AT-Therapeutin bekommen und auch dort einige Stunden intensiv gearbeitet. Man soll mit Generalisierungen von Einzelerlebnissen vorsichtig sein, doch meinem Eindruck nach dürften die gängigen Vorurteile gar nicht so falsch sein: AT scheint tatsächlich noch tiefschürfender und fundierter zu sein und deckt tendenziell viele weitere verborgene Zusammenhänge (und damit auch Chancen!) auf, die bei PT eher übersehen werden könnten. Dafür geht es tendenziell langsamer und weniger effizient.
Mit einer VT-Variante habe ich ebenfalls eigene Erfahrungen, allerdings teilweise sehr negative, was sich auch mit der hier dargestellten "Theorie" deckt. Hingegen habe ich gute Erfahrungen mit denjenigen VT-Übungen, die mein PT-Therapeut auf Grundlage seiner PT trotzdem mit mir gemacht hat.
Strategisch gesehen fährt man am besten, wenn man einen Therapeuten wählt, der alle drei Richtungen AT, PT und VT beherrscht. Denn man braucht in Wirklichkeit alle: es nützt nichts, die Kellerwände abzudichten, wenn man vergisst, den Putz zu sanieren und neue Tapeten anzukleben. Zwar trocknet es irgendwann auch von selbst, aber man wird die nasse Vergangenheit später doch noch sehen können. Daher wird auch VT gebraucht, nur sollte man nicht den Kardinalfehler machen, ausschließlich oder anfänglich auf VT zu setzen!
Tipp: ein breit ausgebildeter Therapeut hat darüber hinaus den Vorteil, dass er mit der Kasse die AT-Stundenzahl aushandeln kann, während er gelegentlich auch Elemente von PT und VT bei Bedarf in die Therapie einbauen kann.
Eine langwierige und aufwändige klassische analytische oder tiefenpsychologische Therapeuten-Ausbildung ist durch nichts zu ersetzen.
Daher stellt auch die Ausbildungsdauer ein wichtiges Kriterium dar. Wer zu einem Schmalspur-Therapeuten nach dem Heilpraktiker- oder Psychotherapeuten-Gesetz geht, der anders als klassische AT- oder VT-Therapeuten kein Universitätsstudium und danach keine langwierige Zusatzausbildung absolviert hat, der darf sich nicht wunden, wenn sein Behandlungsergebnis nach einigen Jahren Risse in der Fassade erkennen lässt.
Diese lange Ausbildungsdauer haben in der Praxis nur zwei Berufsgruppen vorzuweisen: die ärztlichen Psychotherapeuten (was nicht gleichbedeutend mit Psychiater ist), und die psychologischen Psychotherapeuten. Letztere haben nach ihrem Psychologie-Studium eine therapeutische Zusatzausbildung gemacht. Ich selber war bei einem psychologischen Psychotherapeuten und habe damit gute Erfahrungen gemacht.
Wie überall im Leben kann es auch bei der Therapeutenwahl vorkommen, dass man an weniger kompetente Therapeuten gerät. Man könnte nun Vergleiche der Art "lieber zu einem guten VT-Therapeuten als zu einem schlechten AT-Therapeuten" anstellen. Doch davon halte ich nichts: man sollte gute Äpfel nicht mit schlechten Birnen (oder umgekehrt) vergleichen. Stattdessen sollte man dafür sorgen, dass man die Wahl zwischen ausschließlich gutem Obst hat. Daher die Frage: wie erkennt man schlechtes Obst, d.h. in welche Therapie-Fallen kann man bei den jeweiligen Therapie-Formen geraten?
AT: hier besteht bei schlechten Therapeuten die Gefahr, dass nur analysiert, aber nicht gehandelt und keine Konsequenzen gezogen werden. Das Abstinenz-Gebot kann u.a. dazu verführen, dass kein (bei Missbrauch parteiisches) inneres Engagement für den Klienten mit eigenem persönlichen Einsatz des Therapeuten entsteht, sondern der Therapeut in Wirklichkeit froh ist, wenn der Klient die Stunde verlässt und es dann nicht schafft, aus den Erkenntnissen der Analyse irgendwelche Vorteile für sein Leben zu ziehen (Therapeut: "das ist nicht mein Bier"). Sein Geld kriegt der Therapeut ja ganz unabhängig davon immer. Wer nach lange dahindümpelnden AT-Therapien immer noch mit Problemen kämpft, sollte zu jemandem gehen, der sich eine Scheibe von VT abgeschnitten hat und wirklich bei der Umsetzung hilft.
Speziell bei AT gibt es eine weitere, heutzutage allerdings seltener gewordene Falle: innerhalb der Analytik gibt es verschiedene Richtungen. Während neuere Vertreter analytischer Schulen wie Mathias Hirsch oder Wolfgang Schmidbauer (sowie nicht zuletzt auch Alice Miller, obwohl sie "offiziell" mit Analytik-Verbänden gebrochen hat) klar auf Seiten von Überlebenden stehen (Parteilichkeit), kann man auch Pech haben und an Missbrauchs-Leugner alter Schule geraten. Hinter der Fassade handelt es sich oftmals um Parteilichkeit für die Täter-Seite. Die Wurzel dieser für die Analytik sehr unschönen "Tradition" ist bei Freud mit seiner originalen Ödipus-Theorie zu suchen. Weiterhin begründete Freud eine lange und schlimme Tradition von Missbrauch in der Therapie. Nur wenige wissen, dass Freud höchstpersönlich sowie einige Analytiker der ersten Generation mit einigen ihrer weiblichen Patientinnen ins Bett gegangen sind. Freud und Kollegen haben ihren Patientinnen, die von sexuellem Missbrauch berichtet haben, diesen nicht nur verdreht, damit die Täter entlastet und den Patientinnen die Alleinschuld am Inzest aufgebürdet, sondern sie haben durch ihre sexuellen Beziehungen nach heutigen Bewertungs-Maßstäben auch Missbrauch in der Therapie begangen - heute übrigens ein Straftatbestand. Näheres kann man z.B. bei Egle / Hoffmann / Joraschky nachlesen. Neben unbestreitbaren Verdiensten (u.a. die bahnbrechende Entdeckung der Übertragung) hatte Freud nach heutigen Maßstäben also auch eine verbrecherische Seite in sich (mich persönlich entlastet die Vorstellung ungeheuer, wie der hochangesehene Freud nach heutiger Gesetzeslage im Gefängnis sitzt und gesiebte Luft atmet). Die Nachwirkungen dieser unseligen Missbrauchs- und Täter-Tradition unter Analytikern lassen sich heute in einigen Fällen noch spüren. Dieser Gefahr kann man einigermaßen sicher entgehen, wenn man vor Therapiebeginn fragt, wie der in Frage kommende Therapeut zu modernen Weiterentwicklern der Analytik wie Hirsch, Schmidbauer und Miller steht.
PT: ähnlich wie bei AT, auch wenn die Gefahr einer inneren Nichtbeteiligung des Therapeuten wegen der Gesprächs-Beziehung geringer ist. Auch das Risiko, durch "historische Fehler" oder zumindest "historischen Ballast" behindert oder gar geschädigt zu werden, dürfte im Vergleich zu AT deutlich geringer sein.
VT: hier besteht die Hauptgefahr darin, dass irgendetwas unpassendes unternommen wird (siehe oben) und/oder dass die eigentliche Kern-Problematik weder erkannt noch behandelt wird. Wenn es sich um einen Schulaufsatz handeln würde, könnte die Bewertung lauten: "Klasse Darstellung, aber leider Thema total verfehlt". Diese Gefahr ist vor allem bei zeitweise amnestischen oder oszillierenden Patienten besonders hoch. Klassische VT unternimmt auf diesem Gebiet traditionell so gut wie keinerlei Anstrengungen.
AT+TP+VT: die Gefahr einer Retraumatisierung durch unprofessionell arbeitende und nicht genügend einfühlsame Therapeuten ist bei allen drei Therapieformen nicht ausgeschlossen. Hiergegen hilft es jedoch ungemein, wenn man vor Therapiebeginn fragt, ob der betreffende Therapeut Erfahrung mit der Therapie von sexuellem Missbrauch (nicht nur von Traumata) sowie mit Ressourcen-Orientierung hat und bei den ersten Probesitzungen genau in sich hineinhört, ob einem das guttut und ob es möglich ist, eventuell auftretende schlimme Gefühle mitfühlend zu besprechend und Erleichterung zu schaffen, sowie das Tempo von Aufdeckungen selbst zu bestimmen. Einem Therapeuten, der auf diesem Gebiet dauerhaft patzt (z.B. indem er drängelt oder sonstwie die Autonomie des Patienten verletzt), sollte man kündigen.
Hier ist eine Liste von Behandlungsfehlern, die hauptsächlich von der Kompetenz eines Therapeuten abhängen und prinzipiell bei allen Therapieformen (AT, PT und VT) auftreten können:
Oft stellen sich diese Probleme und Fallen erst nach einer Weile heraus und sind nicht unbedingt am Anfang gleich zu erkennen. Deshalb sollte man nach einigen Monaten kritische Bilanz ziehen und diese Fragen nochmals untersuchen.
Einige Therapie-Richtungen, insbesondere gewisse Familientherapie-Schulen, lehren beispielsweise das Hinarbeiten auf das "Verzeihen", arbeiten systematisch auf das "Führen einer guten Beziehung mit dem Täter" hin und richten daher systematisch großen Schaden an! Typischerweise haben derartige Therapeuten keine fundierte Trauma / Dissoziations-Ausbildung, und hatten sich in ihrer Ausbildung nicht oder nur oberflächlich mit unbewussten / abgespaltenen Gefühlen beschäftigt.
Risiko-Faktoren, die derartige Fehlbehandlungen begünstigen können:
Immer wieder wird (vor allem im Internet) die Meinung verbreitet, bei der Wahl der Therapieform sei heutzutage alles möglich.
Der Gesundheitsmarkt quillt zunehmend über vor Angeboten durch Schmalspur-Therapeuten und Heilpraktiker, die im Vergleich zum langwierigen Studium psychologischer oder ärztlicher Psychotherapeuten nur eine "Schnellbleiche" erhalten haben. Dieses Über-Angebot führt zu einem extrem hohen Wettbewerbs-Druck auf dem Gesundheitsmarkt. Nicht immer werden die gesetzlichen Wettbewerbs-Regeln eingehalten, nach denen Heilberufe keine Werbung für sich machen dürfen.
Beispiel: eine Ergotherapeutin wollte unter ihrer Berufsbezeichnung in mein Forum, um anderen Überlebenden zu helfen (laut Selbstaussage). Als ich sie auf den Rollenkonflikt zwischen ihrem Beruf und ihren eigenen Hilfe-Bedürfnissen angesprochen hatte, erhielt ich folgende Antwort: Es geht mir nicht um Akquise - ich weiß, daß viele Leute aus dem Gesundheitsbereich aggressiv akquirieren, teilweise auch als "Haubentaucher" in solchen Foren.
Neben dem klaren Widerspruch zwischen ihren deutlich gemachten Hilfs-Angeboten und dem angeblichen Nicht-Interesse an Akquise: diese Auskunft aus erster Hand über das Phänomen der "Haubentaucher" sollte allen Hilfesuchenden zu denken geben, wie es in unserem Gesundheitssystem unter der Oberfläche wirklich zugeht -- und was in diversen Überlebenden-Foren im Internet hinter den Kulissen wohl so alles ablaufen mag.
Auch wenn einige Autoren viel Wirbel um körperorientierte Therapien, Familientherapie, Ergotherapie, Kunst- oder Musiktherapien machen und diese allerwärmstens ausgerechnet für sexuell Missbrauchte empfehlen: als Zentral-Therapie für die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch halte ich sie für genauso geeignet wie VT - nämlich gar nicht. Derartige Therapien nützen am meisten dem Geldbeutel des jeweiligen Therapeuten oder Autoren. Die meisten dieser Therapieformen sind übrigens nichts anderes als Ableger oder stellen Sonderformen von VT dar.
Anders sieht es mit "Orchideen-Therapieformen" (gemessen an der Schwere einer Verletzung wie sexueller Missbrauch) höchstens nur dann aus, wenn man seine Kern-Heilung an den Fundamenten bereits bei einem guten PT- oder AT-Therapeuten gemeistert hat und man nun die Stuck-Verzierungen aufpolieren will. Dann kann man sogenannte "Orchideen-Therapieformen" durchaus als Ergänzung und Abrundung hinzunehmen. Auch eine Sexualtherapie kann in einem fortgeschrittenen Stadium(!) der Heilung sinnvoll sein. Wer hingegen mit einer Sexualtherapie beginnt, während er noch von Flashbacks heimgesucht wird, der kann stattdessen ein Desaster höchsten Ausmaßes erleben.
Auch systemische Familientherapeuten (ebenfalls der VT-Philosophie verhaftet), die unbedingt mit missbrauchs-aversiven Angehörigen zusammenarbeiten wollen und damit schon per Setting das Gebot der Parteilichkeit für Missbrauchs-Betroffene verletzen, die sich weiterhin nicht in die inneren Zustände von Missbrauchten einfühlen können (und daher nicht bemerken, was manche "therapeutische Interventionen" anrichten können), können wahre Katastrophen auslösen (ich spreche aus eigener leidvoller Erfahrung).
Ich behaupte: systemische Familientherapie ist im Regelfall zur Behandlung von sexuellem Missbrauch grundsätzlich ungeeignet. Das Setting hat "Neutralität" gegenüber allen Beteiligten zum Ziel. Wegen der haushohen Überlegenheit des erwachsenen Täters gegenüber dem Kind (bzw dem zum Kind regredierten erwachsenen Opfer) führt dieses Setting regelmäßig zu einem Unterbuttern des Opfers (das sich nicht genügend artikulieren kann, z.B. wegen dissoziativer Amnesie und abgespaltenen / unbewussten Gefühlen) und damit zu einer Retraumatisierung in der Therapie (ähnlich einer unvorbereiteten Täter-Konfrontation).
Nach meiner Beobachtung gibt es inzwischen einen rudimentären Grund-Konsens unter Fachleuten (unabhängig von Therapieformen wie AT, PT oder VT), wie eine gute Trauma-Therapie im Wesentlichen aufgebaut sein sollte. Beispielsweise steht am Anfang erst einmal die Stabilisierung ganz weit oben. Auch die Ressourcen-Orientierung wird als extrem wichtig erachtet. Diese mehr oder weniger etablierten "Best-Practices" beißen sich jedoch stellenweise mit der Grund-Systematik von Therapieformen wie z.B. der AT-Coach, die zumindest anfangs kontraproduktiv sein kann, oder z.B. mit der bei VT typischerweise genehmigten Stundenzahl. Diejenigen Therapeuten, die sich (unabhängig von ihrer Ausrichtung) bezüglich Trauma-Behandlung auf den neuesten Stand weitergebildet haben (was leider nicht bei allen der Fall ist), werden auch eine zentrale Forderung von Reddemann / Sachsse beherzigen: Trauma first.
Dies bedeutet: bei Konflikten mit anderen Therapie-Erfordernissen haben die Erfordernisse der Trauma-Behandlung Vorrang.
Leider wird gegen diesen Grundsatz immer noch reihenweise verstoßen.
Trauma-Behandlungsprogramme und auch spezielle Behandlungsverfahren wie EMDR gelten nach deutschem Recht nicht als eigenständige Therapieform, sondern müssen immer in eine AT-, PT- oder VT-Therapie eingebettet werden.
Dieser Missstand kann nicht nur zur Verwirrung von Patienten führen, sondern allen möglichen Orchideen-Anbietern die Türen für zweifelhafte Angebote öffnen. Findige Geschäftemacher haben erkannt, dass hinter sehr vielen psychischen Problemen eine Traumatisierung als Primärursache steckt und daher Traumabehandlung einen riesigen "Markt" darstellt. Inzwischen wird alles mögliche als "Trauma-Therapie" bezeichnet und verkauft, was sich nur unzureichend einer wissenschaftlichen Überprüfung auf Wirksamkeit unterzogen hat.
Deshalb mein ultimativer Geheimtipp: nimm das als Zusatz zu deiner AT- oder PT-Grundtherapie, was nach wissenschaftlichen Kriterien nachgewiesenermaßen hilft! Wobei dieser Zusatz(!) durchaus aus dem VT-Spektrum stammen kann. Vermeide das, worüber in irgendwelchen Internet-Foren seriös klingender Bullshit verzapft wird oder was von irgendwelchen bekannten Super-Duper-Autoren warmherzig empfohlen wird (denn diese empfehlen immer nur die Therapie-Zweige, die sie selber damals in ihrer Ausbildung kennengelernt haben)! Um dies unterscheiden zu lernen, muss man allerdings etwas Zeit in eigene Recherchen mittels wissenschaftlicher Literatur investieren, denn ich nenne hier keine konkreten Namen, um Ärger zu vermeiden. Derartige Nachprüfungen können sich jedoch sehr direkt auszahlen.
Wichtig: eine Trauma-Therapie ist immer ein Zusatz zu einer kassenzugelassenen Grund-Psychotherapie. Wer meint, alleine durch Hypnose oder andere ganz spezielle Trauma-Therapien heilen zu können, befindet sich auf einem gefährlichen Holzweg!
Unbedingte Voraussetzung ist, eine Therapie machen zu wollen. Wer das nicht will, der sollte es lieber bleiben lassen. Ansonsten läuft er Gefahr, einen Therapieschaden zu erleiden. Man soll nie etwas tun, wohinter man nicht wirklich steht!
Ohne Einzeltherapie geht es bei einer derart schweren Verletzung wie sexuellem Missbrauch nicht. Zwar tauchen immer wieder Leute in Internet-Foren auf, die behaupten, sie hätten ihre Heilung auch ohne Therapie geschafft. Da habe ich aber heftige Zweifel.
Deshalb: nimm die Suche nach einem guten Psychotherapeuten ernst (siehe auch Heilungs-Tipps).
Nimm nicht den erstbesten Therapeuten, den du zufällig findest!
Das heißt, du kannst ihn schon nehmen, wenn er derjenige unter mehreren Kandidaten ist, mit dem du am besten kannst.
Entscheide dich vorher, ob du lieber zu einem Mann willst, oder zu einer Frau, oder ob beides in Frage kommt. Gleichgeschlechtliche Therapeuten haben zumindest am Anfang den Vorteil, dass weniger Liebes-Übertragungen die Trauma-Therapie stören können. Andererseits kann es auch von Vorteil sein, wenn der Therapeut nicht das gleiche Geschlecht wie der Haupttäter hat.
Frage nach der Amtlichen Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde! Und zwar auch dann, wenn du privat versichert bist. Wer nicht wenigstens mit privaten Krankenversicherungen abrechnen kann, bei dem sei vorsichtig! In der Psycho-Guru-Szene gibt es auch finanzielle Ausbeuter, die nach neuer Gesetzeslage illegal arbeiten (und sich evtl. strafbar machen), wenn sie keine gültige Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde haben oder wenn sie unberechtigt die inzwischen geschützte Berufsbezeichnung "Psychotherapeut" führen (während die Kurzform "Therapeut" nach wie vor ungeschützt ist). Eine amtliche Erlaubnis ist ein von einer (Gesundheits-)Behörde ausgestelltes Dokument und von einem Amtsarzt unterschrieben. Wer die staatliche Erlaubnis hat, der kann im Regelfall de facto (evtl. durch Einschaltung eines Gutachters) auch mit der Kasse abrechnen.
Psychologische Psychotherapeuten haben nach ihrem Psychologie-Diplom eine langwierige therapeutische Zusatzausbildung absolviert. Auch Ärzte mit (meist analytischer) Psychotherapie-Zusatzausbildung haben sich sehr intensiv vorbereitet.
Wer meinen obigen Tipp beherzigt und einen ärztlichen oder psychologischen Therapeuten nimmt, der kann stattdessen auch eine Approbation der Ärztekammer vorfinden.
Rufe bei mindestens 6 Therapeuten an, und mache Probestunden bei mindestens dreien von ihnen. Rechne damit, dass du mindestens doppelt bis dreimal soviele telefonische Fehlkontakte pro zustande gekommener Probestunde benötigst; das ist ganz normal! Lass dich nicht von Therapeuten entmutigen, die dich am Telefon gleich abwimmeln! Suche einfach weiter und rufe bei anderen an. Denke daran, dass es für dich ist, und dass du dir jemanden suchen solltest, der dir guttut.
Wähle in Ruhe aus und achte auf dein Bauchgefühl. Ein guter Therapeut hat gleichzeitig sehr gute Fachkenntnisse (z.B. über Trauma-Therapie wie EMDR), kann sich sehr gut in dich einfühlen (solche Therapeuten erkennt man daran, dass sie dir deine Gefühle erklären können, die du selbst nicht auszudrücken wagst) und dich dabei liebevoll verstehen. Du findest ihn sympathisch, und du hast ein gutes Gefühl wenn du ihm vertraust. Er hilft Dir, und er stärkt Deine Kräfte.
Deine Chancen, den richtigen Therapeuten zu finden, der sich mit Missbrauch und Trauma-Therapie auskennt, steigen um ein Mehrfaches, wenn du gleich am Anfang klar machst, weshalb du zu ihm kommst! Das klingt vielleicht wie eine Zumutung. Gehst du zu deinem Ohrenarzt wegen Ohrensausen, ohne ihm das zu sagen? Du kannst nur dann die richtige Behandlung kriegen, wenn du auch sagst, was du brauchst und weshalb du kommst. Gib deinem Herz einen Ruck und versuche das irgendwie auszudrücken. Wenn es dir schwer fällt, musst du ja nicht gleich "Missbrauch" angeben, sondern kannst auch erst mal "Traumatisierung" sagen und seine Reaktionen beobachten. Und wenn du immer noch in totalen Zweifeln bist, ob du auch wirklich Missbrauch oder "nur Lappalien" erlebt hast, dann sage doch einfach "Verdacht auf Traumatisierung" oder etwas ähnliches!
Wenn du schweres Fieber hast, gehst du ja auch zum Arzt, obwohl du nicht genau weisst, welche exakte Infektionskrankheit dahinter stecken könnte. Und du wirst ihm das Fieber auch nicht verheimlichen wollen! Deswegen solltest du unbedingt dafür sorgen, dass deine Trauma-Erinnerungen als Ursachen deiner Probleme in Betracht gezogen werden! Und zwar auch und gerade dann, wenn du an deine Erinnerungen im Moment nicht herankommst, weil du gerade in der Amnesie-Phase des für Trauma so typischen Oszillierens (Hin- und Herpendeln zwischen Erinnern und Vergessen) steckst. Wenn du glaubst, du hättest nichts, weil deine Flashbacks schon ein paar Monate oder Jahre her sind, dann lies den Artikel über Trauma, wo erklärt wird, dass (auch lange) Amnesie-Phasen geradezu typisch sind.
Entscheidend ist nicht, ob du im Moment gerade heftig belastende Erinnerungen hast, sondern ob du in der Vergangenheit irgendwann einmal welche hattest!
Deswegen ist es wichtig, jemanden zu finden, der dies weiß und der sich mit Trauma-Therapie auskennt.
Sondertipp: wenn du es im Moment absolut nicht hinbringst, über die Art deiner Trauma-Erinnerungen zu sprechen, dann frage einfach, ob sich der Thera mit Traumatisierungen auskennt und ob er schon einmal Trauma-Therapie durchgeführt hat. Damit machst du keine Aussage über deinen eigenen Trauma-Verdacht, sondern lässt es vorläufig offen.
Warum betone ich die Auswahl aus mehreren Kandidaten so sehr? Weil nach meinen niederschmetternden Erfahrungen mit Therapie-Versuchen mindestens die Hälfte aller deutschen Therapeuten für die Trauma-Therapie und die Therapie von schweren seelischen Schädigungen wie sexuellem Missbrauch ungeeignet ist. Unter der anderen Hälfte gibt es dagegen richtige Perlen; diese findet man aber nur durch intensive Suche und Auswahl! Eine Therapie bei so jemandem ist nicht mit Gold aufzuwiegen! Versuche unbedingt, so einen Therapeuten zu finden. Keine Entscheidung deines Lebens wird sich so für dich lohnen wie diese!
Ein ungeeigneter Therapeut kann dich Jahre an vergeblicher Therapie kosten, oder dich sogar in deinem Heilungsprozess zurückwerfen.
Hier steht etwas über mögliche Therapie-Ziele.
Paul Hiß: So finden Sie den richtigen Therapeuten. Campus Verlag 1998.
Thijs Besems / Gerry van Vugt: Wo Worte nicht reichen. Therapie mit Inzestbetroffenen. Kösel-Verlag 1990.
Immer wieder tauchen in Internet-Foren Leute auf, die behaupten, man könne von Missbrauchs-Folgen auch ohne Therapie heilen (oder mit seinem Leben ohne Therapie besser zurechtkommen). Oder in einer anderen Variante: nimm einfach das Mittel X (z.B. umstrittene oder unzulässige / illegale Heilmethoden aus der Esoterik- oder Psycho-Guru-Szene wie Reiki [siehe http://www.agpf.de/LG-Koblenz3HO73-2000.htm] oder Bachblüten [siehe http://www.gwup.org/component/content/article/77-komplementaer-und-alternativmedizin-cam/746-bach-bluetentherapie oder andere pseudowissenschaftliche "Heilmethoden" - zu einem Todesfall durch Placebo-Einnahme anstelle wirksamer Behandlung siehe Focus-Bericht http://www.focus.de/gesundheit/news/mystische-verfahren-gefahrenquellen_aid_144668.html). Derartige "Empfehlungen" sind meistens daran zu erkennen, dass im besten Falle Heilpraktiker oder andere nicht umfassend ausgebildete Therapeuten empfohlen werden; im ungünstigsten Falle sind es sogar sogenannte "Therapeuten", die nach deutschem Recht keine Heilbehandlungen durchführen dürfen, sondern allenfalls sogenannte "Lebensberatung" anbieten dürfen.
Anstatt die Ursachen ihrer dissoziativen Störungen durch Traumatherapie anzugehen, werden oft vollkommen andere Dinge wie Ergo- oder sogenannte "Körpertherapie" oder Kunst- und Musiktherapie oder andere Spezialtherapien aus dem Verhaltenstherapie-Spektrum gemacht, die von seriösen Therapeuten allenfalls als optionale Ergänzung bei speziellen Folgeschäden und Defiziten empfohlen werden, um auf diese Weise das anstrengende Kernproblem nach wie vor unbehandelt lassen zu können. Trotzdem sind diese Missbrauchs-Opfer der festen Überzeugung, sie würden alles für ihre Heilung tun, was sie nur könnten - mehr als das könne man einfach nicht, mehr verkrafte man wirklich nicht (eine häufige Überlebensstrategie, die leider fatal sein kann).
Von den Verfechtern dieser Thesen wird suggeriert, man könne all das, was in einer ordentlichen Psycho(trauma)therapie bei einem langwierig ausgebildeten und amtlich zugelassenen Psychotherapeuten an Heilungseffekten erzielt werden sollte, auch so (z.B. durch die Hilfe anderer Überlebender oder durch nichtzugelassene Esoterik-Mittel oder ganz andere Therapieformen wie "Körpertherapien") erreichen.
Stimmt das?
Es geht nicht um die Frage, ob man genug macht, sondern ob man das Richtige macht.
Siche dazu auch den Unterartikel über unbewusste Therapie-Vermeidung.
Wer glaubt, das sei egal: nach Untersuchungen haben Missbrauchs-Überlebende ein rund 5-fach erhöhtes Selbstmordrisiko.
Nochmal: nicht 5%, sondern fünf-fach, also 500 Prozent! Und es gibt in Deutschland rund doppelt soviele Selbstmorde wie Verkehrstote.
Missbrauchs-Schäden sind tödliche Krankheiten!
Wenn Du eine schwere lebensgefährliche Krankheit wie Krebs hättest, würdest Du dann auch zu einem Heilpraktiker, "Gesundheitsberater" oder gar "Lebensberater" gehen, um Dich von ihm heilen zu lassen? Oder würdest Du gar versuchen, diese Krankheit per "Selbsthilfe" zu heilen?
Die klassische Selbsthilfe in einer Gruppe kann dich auf dem Heilungsweg der Spät- und Folgeschäden von sexuellem Missbrauch nur unterstützen, nicht jedoch die Effekte einer Trauma-Therapie bewirken. Von virtuellen Selbsthilfe-Gruppen im Internet rate ich ab; was dort möglich ist, liegt noch weit unterhalb der Möglichkeiten einer realen Selbsthilfe-Gruppe. Dort kann man sich höchsten Anregungen und Ideen holen; die Bearbeitung sollte dann aber bei einem gut ausgebildeten Psychotherapeuten stattfinden.
Es gibt viele Dinge, die in einer Gruppe schlichtweg nicht gemacht werden können. Dazu zählen unter anderem
Weshalb? Ich würde es nie wagen, jemandem zu empfehlen, nicht zum Arzt zu gehen, wenn er etwas potentiell Gefährliches auch nur haben könnte. Wenn etwas nach einem Beinbruch aussieht, werde ich niemals versuchen, das ohnen einen Chirurgen selbst zu schienen (oder ihm "Selbsthilfe" mittels Reiki oder Bachblüten zu empfehlen). Einige Leute im Internet sind aber mit analogen Empfehlungen sehr schnell bei der Hand.
Mein Gewissen verbietet es mir, Empfehlungen zu unterstützen, eine traumaorientierte Psychotherapie sei nicht nötig, oder man könne sie durch etwas anderes ersetzen.
Meine persönlichen Erfahrungen mit meiner selbst initiierten Psychotherapie bei einem kompetenten und einfühlsamen Psychotherapeuten sind so gut (Überwindung einer PTBS mit Dekompensation, erste Besserung bereits nach 1 Monat, weitgehende Beschwerdefreiheit und die beste Lebensfähigkeit meines gesamten Lebens nach 3 Jahren), dass ich das auch guten Gewissens anderen weiterempfehlen kann.
Mein Therapie-Erfolg liegt aber nicht allein an meinem Therapeuten, sondern vor allem daran, dass ich mich vorher entschieden hatte, wesentliche Veränderungen in meinem Leben vorzunehmen und dafür auch einen Einsatz zu bringen. Ich bin mit meinem traumatischen Material von mir aus auf meinen Therapeuten zugegangen und habe ihn gebeten, mir bei der Verarbeitung zu helfen. Ich habe mich nicht treiben lassen, sondern den Therapieprozess selbst vorangetrieben.