Dieses Thema ist so unendlich riesig. Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Für mich ist es schwierig, mich halbwegs verständlich auszudrücken. Der durchschnittliche unvoreingenommene Mensch kann sich gar nicht vorstellen, was das überhaupt ist.
Täter könnten vermutlich sexuellen oder physischen Missbrauch gar nicht begehen, wenn sie kein total verzerrtes Bild der Realität hätten.
Meine Eltern sind erzkatholisch. Mein Vater war lange Jahre Vorsitzender der KAB und zweiter Vorsitzender des Pfarrgemeinderats (nach dem Pfarrer) und war bzw. ist immer noch in meinem Heimatdorf sehr angesehen. Er hat fast jedes Dorffest entweder organisiert oder daran mitgewirkt, ist Mitglied in mehreren Vereinen. Als die Pfarrstelle einige Jahre verwaist war, hat er Andachten u.ä. in der Pfarrkirche gehalten. Er konnte beinahe besser predigen als so mancher Pfarrer. Ich habe immer noch das Bild vor mir, wie er vorne in der Mesner-Bank mit der Hand an der Brust in dieser typisch uraltkatholischen "mea-culpa, mea-maxima-culpa"-Haltung sitzt. Meine Mutter betreibt eine Marien-Verehrung, die inzwischen längst sektiererische Züge angenommen hat. Als ich vor fast 5 Jahren zum letzten Mal im Haus meiner Eltern war, stand in fast jeder Ecke eine mit Blumen und Lichtern geschmückte Marien-Statue und Weihwasser. Meine Mutter betet mehrmals täglich den Rosenkranz, macht öfters Marien-Wallfahrten (u.a. nach Medjugorje) und hört Predigt-Kassetten und liest Bücher von "marianischen Priestern", die an Marien-Erscheinungen glauben und genau zu wissen vorgeben, was Gottes Wille angeblich ist.
Eigentlich dürfte es da nicht verwundern, dass meine Eltern versucht haben, mich zu einem "gottesfürchtigen" "Kind Gottes" zu erziehen, das in tugendhafter Weise die kirchlichen Gesetze achtet und versucht, wie ein Heiliger zu leben. Eigentlich hätte ich katholischer Priester werden sollen; das war jedenfalls seinerzeit das Argument, mit dem ich als beinahe einziger aus der gesamten Verwandt- und engeren Bekanntschaft aufs Gymnasium durfte.
Nehmen wir als Beispiel die Sexualmoral, die mir mein Vater gepredigt hat, als ich im vorpubertären Alter war: Sex vor der Ehe ist in jedem Falle eine schwere Sünde, die eigentlich gar nicht mehr gebeichtet werden kann, weil es ja nur pure Absicht gegen den Willen Gottes und die unfehlbare Lehre der Kirche sein kann. Absichtlich begangene Sünden sind ja so ziemlich das schlimmste, was es überhaupt gibt. Allein das Denken sexueller Gedanken ist bereits eine Sünde, die gebeichtet werden muss (Verstoß gegen das sechste Gebot). Wenn man ein Mädchen küsst, führt das fast unweigerlich automatisch bis zum Geschlechtsverkehr; daher darf man kein Mädchen küssen. Wenn man ein Mädchen küsst und es dann zum Geschlechtsverkehr kommt, dann muss man sie heiraten, sonst war es eine schwere Sünde. Homosexualität ist eine Todsünde, die eigentlich gar nicht mehr abgewaschen werden kann. Koitus interruptus ruft angeblich schwerste psychische Schäden bis hin zum Wahnsinn hervor (nein, das ist kein HOHN auf die Folgen von sexuellem Missbrauch, das hat er wirklich allen Ernstes behauptet und ich hatte das zu glauben!), und die Kirche hat das ja schon immer gewusst, deswegen ist sie ja auch gegen Verhütung; schließlich will sie ja Schaden von den Menschen abhalten, auch den ewigen Schaden nach dem Tod, der ja ganz besonders schlimm ist (wenn man in die Hölle kommt).... Diese Liste lässt sich noch lange fortsetzen....
Von dem Inzest, den meine Mutter einige Jahre vorher an mir verübt hatte, war natürlich keine Rede mehr. Den hatte sie ja gebeichtet als die Gerüchte darüber im Dorf umgingen, und vom Priester (als Stellvertreter Gottes auf Erden) hatte sie die Absolution bekommen. Damit war ja alles vergeben und vergessen; irgendwelche weiteren Folgen gab es scheinbar nicht. Mich hatten sie auch zur Zwangsbeichte geschickt, da ich ja angeblich meine Mutter "verführt" hatte (als 8-Jähriger!), nur hatte ich im Gegensatz zu ihr die Absolution nicht bekommen, weil ich "uneinsichtig" in meine "Sünde" war und sie nicht "bekannt" hatte. Der Pfarrer hat zwar etwas später seine Meinung revidiert (vermutlich als die Polizei ermittelte und auch ihn befragte), aber bei und vor dieser Zwangsbeichte hat er mich extrem in die Mangel genommen!
Normale Kinder überstehen derartige Indoktrinationen meistens einigermaßen unbeschadet, indem sie sich spätestens ab der Pubertät einen eigenen Weg aus diesen Zwängen suchen. Bei mir war jedoch alles, was mit Sexualität zusammenhing, mit schweren Traumata verknüpft. Während der Vorpubertät (von 12 - 13) fanden ja auch noch weitere Missbräuche außerhalb der Familie statt, einmal durch den Jugendleiter einer katholischen Heimatvertriebenenorganisation (der dann später zum Priester geweiht wurde), zum anderen durch eine Krankenschwester aus der Kinderpsychiatrie (siehe auch Wiederholungen / Reviktimisierungen).
Mit 14 habe ich mich zum ersten Mal verliebt. Ich habe aber nicht gewagt, das Mädchen auch nur anzusehen. Bereits ein Blick zu ihr wäre ja bereits die Vorstufe zur Sünde gewesen! Ich geriet regelrecht in Panik, wenn ich sie auch nur sah. Diese Panik hatte etwas existentielles für mich: "allerhöchste Gefahr" signalisierten mir meine Trauma-Introjekte.
Mit 19 kam es dann zum ersten Kuss. Wobei ich nicht etwa sie geküsst hätte, nein: sie hat mich geküsst. Es war wie ein Wunder, dass ich das überhaupt zugelassen habe. Ich wäre dabei fast gestorben. Ich hatte mich aber in sie verliebt und wollte mich auch nicht vor den anderen blamieren; wahrscheinlich ging es deshalb.
Mit 24 hatte ich meine erste und einzige Freundin (in einem Kloster bei einer Jugendveranstaltung kennen gelernt), die dann später meine Frau wurde. Die durfte ich auch nur deshalb haben, weil erstens meine (jüngeren) Geschwister teilweise auch schon Freunde hatten, und weil ich mich vorher bereits dafür entschieden und für mich selber klargemacht hatte, dass ich sie heiraten werde. Meine innere Heirats-Entscheidung musste ja bereits vorher gefallen sein. Von dieser einmal getroffenen Entscheidung durfte ich auch nicht mehr abrücken, als sie mir plötzlich und unerwartet einen Liebesbrief von einem anderen zeigte.
Kein Wunder, dass die Ehe schief ging. Die Seitensprünge meiner Frau habe ich komplett ignoriert, und wir waren eine gut-katholische Musterfamilie. Ich habe ihr nach abgeschlossener Erstausbildung ein Zweitstudium samt nachfolgender Promotion bezahlt, während deren heißer Abschluss-Phase dann die Kinder kamen; zum Ausgleich habe ich mich gelegentlich (starke Stimmungs-Schwankungen) wie Dreck behandeln lassen (auch ganz offen vor anderen aus meinem Verwandten- und Freundeskreis, die mir das nach meiner Loslösung bestätigt haben; vorher hatte ich das nicht wahrgenommen). Zum entscheidenden inneren Bruch kam es für mich erst, als meine Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch meine Mutter hochkamen (als mein Unterbewusstsein meine Kinder in Gefahr sah) und sich meine Frau dann ganz demonstrativ auf die Täter-Seite gestellt hat und trotz deren Zugeben der Tat unbedingt die Kinder weiterhin von meiner Mutter betreuen lassen wollte. Letzteres habe ich dann aber doch noch erfolgreich verhindert.
Meine innere gefühlsmäßige Ablösung hat trotz Therapie und trotz meiner theoretischen Kenntnisse über destruktive Beziehungen fast vier Jahre gedauert (momentan läuft das Scheidungs-Verfahren); die katholische Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe hatte sich so tief in mein innerstes Gefühlsleben eingebrannt, dass ich zumindest am Anfang schlimmste Gewissensbisse hatte und beinahe die Trennung nicht geschafft hätte. Sie dagegen hatte offenbar keine Probleme, sich recht bald einen neuen Freund zuzulegen, von dessen Existenz ich wiederum nur mit Zeitverzögerung erfahren habe. Erst als ich dies erfuhr, habe ich die innere Ablösung wirklich geschafft.
Meine Mutter hat streng kontrolliert, mit wem ich Umgang hatte. Im Kindergarten gab es noch Kindergeburtstage, an denen mehr als drei Freunde teilnehmen durften. In der Schule durfte ich anfangs noch drei handverlesene Freunde haben, später nur noch einen einzigen. Zeitweise war mal immer wieder ein "Kandidat" in "Erprobung", aber meist musste ich mich nach wenigen Monaten wieder von ihm trennen.
Die Freunde hat sie mir u.a. mit folgenden Argumenten madig gemacht: der eine schaute zuviel Fernsehen. Besonders schlimm war, dass er Cowboy-Filme gerne mochte. So einer verdirbt den Charakter! Der andere hat mich angeblich geschubst und ausgetrickst und war ein ganz arg übler Bursche, der angeblich total hinterhältig sei. Sie hat mir solange Schauergeschichten von ihm erzählt, bis ich sie geglaubt habe. Meine Erinnerungen an das gemeinsame Spielen sagen jedoch etwas ganz anderes: ich war gerne bei ihm und habe mich wohlgefühlt. An Schubsen oder Austricksen habe ich keine Erinnerungen. Zu uns ins Haus durften andere Kinder nur in Ausnahmefällen kommen. Zu anderen ins Haus durften auch meine Geschwister nur in ganz seltenen Ausnahmefällen. Einzige Ausnahme war dieser eine Freund, mit dessen Eltern meine Eltern auch befreundet waren.
Seit ich die Erinnerung an die Polizei-Ermittlungen wiedergefunden habe, fällt mir auf, dass diese Abschottungs-Politik etwas damit zu tun haben musste, dass offenbar niemand etwas mitbekommen und entdecken sollte, was hinter der Fassade dieses Hauses passierte. Diese polizeilichen Ermittlungen, bei der mein Vater sich in Widersprüche verhaspelte und log, dass sich die Balken bogen, fallen in etwa auch mit dem Beginn bzw. der drastischen Verschärfung dieses Abschottungs-Zwangs zusammen.
Mir hat sie als Kind glauben gemacht, ich hätte total üble und vertrauensunwürdige Freunde. Wer war in Wirklichkeit übel und vertrauensunwürdig?
Vor einiger Zeit war ich in dem alten Haus, wo ES passiert ist. Heute wohnt meine Tante darin. Mein altes Zimmer auf dem Dachboden existiert noch. Es wird zwar als Rumpelkammer benutzt, aber der Fußboden, die Tapeten und vieles andere ist noch so wie früher. Auch mein Bett steht noch da, in dem ES passiert ist. Über dem Bett hängt das Schutzengelbild, das meine Mutter damals aufgehängt hatte. Es zeigt einen Engel im kitschigen Nazarenerstil, der zwei Kinder bewacht, die neben einem Abgrund neben einem reißenden Fluss spielen. Meine Tante hat mir erzählt, dass diese Bilder eins der ganz wenigen Dinge waren, die mein Opa väterlicherseits bei der Vertreibung aus dem Sudetenland im beschränkten Handgepäck mitgenommen hat. Fast alles andere hat er zurücklassen müssen.
Als ich dieses Detail meinem Thera erzählte, hat er mich gefragt, warum meine Mutter dieses Bild wohl aufgehängt haben könnte. Ich mutmaßte, dass dieser Schutzengel beruhigende und "mütterliche" Funktion für mich haben sollte. Worauf mich mein Thera erst hinweisen musste: Die gleiche Mutter, die dieses Bild aufgehängt hat, hat mich sexuell missbraucht! (vgl. Spaltungen) Und bei diesem Missbrauch hat mir dieser Schutzengel nicht geholfen!
Der Schutzengel diente als Projektionsfläche für mich als Kind. Ich sollte meine Hilfe von diesem Bild bekommen, und nicht etwa von meinem Vater oder von einem anderen realen Menschen!
Während meiner Studienzeit erlitt ich einmal einen Unfall mit Gehirnerschütterung. Nach einem einwöchigen Krankenhausaufenthalt mit strengster Bettruhe sollte ich noch mindestens weitere 3 Wochen liegen, weil die Gehirnerschütterung bereits verschleppt worden war. Aus diesem Anlass kam ich drei Wochen zu meinen Eltern und in das Bett, das ich vorher als Schüler gehabt hatte. Mein heutiger Schwager hatte mein ehemaliges Zimmer nach meinem Auszug bezogen gehabt, war aber zum Zeitpunkt des Unfalls auch bereits wieder ausgezogen. Ein paar Sachen von ihm standen aber noch herum.
Nach fast drei Wochen wurde es mir im Bett ungemütlich. Es war ein altes Bett mit drei kleinen getrennten Matratzen, zwischen denen sich Kuhlen bildeten, und mein Rücken tat weh (seit ich eine moderne durchgehende hochwertige Matratze habe, habe ich auch keine Rückenbeschwerden mehr). Ich wollte irgendwas an diesem Bett verändern, um mir diese ungemütliche Lage zu erleichtern. Also nahm ich einige der Matratzen heraus und schaute auch unter die Untermatratze. Unter dem Bett stand eine Schachtel, die mit einer alten Sofa-Decke zugedeckt war (die meine Mutter bei meiner Holterdipolter-Ankunft schnell darübergeworfen hatte, als das Bett hergerichtet wurde, wie mir später wieder einfiel). Das sah wirklich merkwürdig aus. Also hob ich die Decke hoch --- und erstarrte.
Als ich DAS sah, schoss mir sofort meine Mutter durch den Kopf. Obwohl ich damals den Missbrauch noch vollkommen verdrängt hatte. In der Schachtel befanden sich lauter Porno-Bücher zum Thema S/M (Sadismus/Masochismus). Ketten, Peitschen, Dominas in Lederkleidung und so weiter, wie auf den Titelbildern deutlich zu sehen war. Eine ganze Schachtel voll mit lauter solchen Büchern! Alle zu diesem einen Thema! Mir wurde ziemlich übel. Ein einziges Buch war dabei, das über Selbstbefriedigung ging und das ich interessant fand und mir näher ansah; die anderen lösten nur Ekel bei mir aus.
Meine Mutter lässt kaum eine Gelegenheit aus, gegen Sex- und Pornoliteratur zu polemisieren, und was die Leute an den Kassen (wo sie eine Zeitlang arbeitete) so alles für Schund kaufen ....
Jahre später, nach der ersten brieflichen Konfrontation, sprach ich meine Eltern brieflich auf einige Dinge an, unter anderem auch auf diese Entdeckung unter meinem ehemaligen Bett. Ich hatte die Geschichte meinem Schwager erzählt, denn rein theoretisch hätten die Bücher ja auch von ihm sein können, da er ja vorher das Zimmer bewohnte. Er lachte, als er die Geschichte hörte, und meinte, wenn er wirklich derart "heiße Ware" gehabt hätte, dann hätte er sie sicher nicht in diesem Zimmer zurückgelassen. Außerdem kann er sich nicht vorstellen, dass in diesem Haus irgendetwas vor sich geht, was meine Mutter nicht weiß......
Wie recht er damit hat!
Auf besagten Brief erhielt ich eine Antwort von meinen Eltern, mit Schreibmaschine geschrieben und ohne Absender und ohne Unterschrift. Die Antwort auf meine Frage, woher diese Bücher stammten, liest sich hochinteressant: solche Bücher gab es doch in diesem Haus in Hülle und Fülle. Bei den Altpapiersammlungen (die meine Eltern von der Kirche aus für gute Zwecke immer wieder organisieren) hätten die (mithelfenden) Ministranten solche Bücher bündelweise mit nach Hause genommen!
Die volle Tragweite dieser Auskunft habe ich erst durchschaut, als mir mein Therapeut auf die Sprünge half. Meine Eltern versorgen also die minderjährigen Ministranten mit der "passenden" Literatur, und das ganze unter dem Deckmantel eines guten Zwecks. Denn was diese verderbten und sündigen Leute doch so alles kaufen und ins Altpapier geben! Meine Eltern würden sich solche Literatur niemals selber kaufen! Aber Altpapier sammeln sie begierig und lagern es in ihrer Garage, wo sie es dann in Ruhe durchsuchen können. Die Schuld haben natürlich die Leute, die diesen Schund kaufen und ins Altpapier geben!
Das Strafen spielte bei meinen Eltern insgesamt eine große Rolle. Der "strafende Gott" tauchte nicht nur bei meiner Mutter auf.
Meine frühesten Erinnerungen an die Prügel, die mir mein Vater verpasst hat, gehen bis in mein erstes Lebensjahr zurueck, als ich gerade laufen lernte.
Ich war gerade bei Opa und Oma in der Stube (im gleichen Haus ein Stock tiefer) und spielte. Ein Mann mit total in Falten gezogener Stirn saß auf der Pritsche - ich erkannte meinen Vater, aber er hatte einen total anderen Gesichtsausdruck als sonst. Irgendwas passte ihm nicht, was ich machte - aber ich verstand nicht, was das war. Es hatte irgendwas mit meinen Spielsachen zu tun (vielleicht hätte ich sie aufräumen sollen, aber ich wusste in diesem Alter noch gar nicht was "aufräumen" überhaupt ist, außerdem verstand ich manche Worte noch nicht). Er schlug mich, und natürlich fing ich an zu weinen. Darauf schlug er mich, weil ich weinte. Das Weinen als solches verdiente unbedingt Strafe! Als gehorsames Kind hatte ich nicht zu weinen! Er drang regelrecht auf mich ein, damit ich aufhören sollte zu weinen. Erst schrie ich noch lauter, worauf er mich so stark schlug und wegen meines immer heftigeren Gebrülles immer wieder und immer wieder schlug, bis ich irgendwann erschöpft und eingeschüchtert aufhörte. Ich habe noch ungefähr die Stimmungslage im Ohr, wie er mich anschrie und behandelte, aber nicht die genauen Worte (außer das "keinen Ton!", das er später als Kommando-Kennzeichen gebrauchte, dass jedes laute Weinen sofort zu weiteren heftigen Prügeln führen würde). In meiner Erinnerung muss diese Szene sehr lange gegangen sein, ich würde heute vielleicht eine halbe Stunde schätzen, aber mein Zeitgefühl war damals noch nicht ausgebildet. Ich glaube, er muss mich öfters als 7 Mal geschlagen haben, aber zählen konnte ich ja auch noch nicht. Meinem Gefühl nach dauerte es "ewig" und wiederholte sich "andauernd". Es war eine richtige "Steigerungs-Orgie". Mir fällt kein besserer Ausdruck ein.
Jedenfalls hatte das zur Folge, dass ich mir nicht nur diesen Gesichtsausdruck merkte und als Alarmsignal verstand, sondern später jegliche Prügel vollkommen stumm ertrug. Er hat mir die natürlichste Reaktion der Welt regelrecht "abdressiert".
Programmierung funktioniert durch die Existenzbedrohung. Es hat etwas mit Beinahe-Vernichtung zu tun.
Ich denke, dass das Ersticken meiner Gegenwehr eins der Täter-Motive meines Vaters gewesen sein dürfte. Er wollte mich jederzeit "strafen" dürfen, ohne dass ich um Hilfe schrie.
Als er kurze Zeit später einen Unfall hatte und im Krankenhaus lag, hat mich meine Mutter zu einem Krankenbesuch mitgenommen. Es gab ziemliches Aufsehen unter den zufällig anwesenden anderen Besuchern aus dem Dorf, als ich nicht zu ihm hinwollte und ich mich vor ihm unter einem Krankenbett versteckte. Ich hatte totale Angst vor ihm. Darauf wurden seine Attacken auch seltener. Nur vollkommen hörten sie eigentlich nie auf.
Worin besteht die Verdrehung? Dass schwere körperliche Kindesmisshandlung, die heute endlich auch als solche bezeichnet wird und nach heutiger Rechtslage nicht nur verboten, sondern u.U. auch strafbar(!) ist, mit dem angeblich "gerechten" Konzept der "Strafe" begründet wurde. Diese "Begründung" bekam ich erst später, als ich schon wesentlich älter war. Wie absurd diese Begründung ist, sieht man an dem Alter, in dem er glaubte, mich mit seinen Straf-Methoden "erziehen" zu müssen.
Meine Schwester hat mir neulich etwas interessantes erzählt: sie hat vor Jahren bei meinen Eltern ein Buch gefunden, das so eine Art "Erziehungs-Ratgeber" christlicher Couleur gewesen sein muss, in dem behauptet wurde, man solle kleine Kinder bis zum Alter von 2 Jahren nur gut prügeln und schlagen, dann würden sie später ganz liebe Menschen. Ich kann das nicht nachprüfen, aber mich würde interessieren, welcher Verbrecher dieses Buch geschrieben hat, wenn es denn stimmen sollte.
Der Wahnsinn hat Methode: eine "christliche" Methode.
In einem christlichen Milieu ist absolute Treue oberstes Gebot. Auch auf diesem Gebiet waren meine Eltern absolute Vorbilder in dem, was sie uns Kinder gelehrt haben. Was mir strengstens verboten und ausführlich begründet wurde, daran haben sie sich angeblich auch selber immer gehalten.
Wirklich? Tatsächlich?
Die folgende Erinnerung habe ich schon seit einigen Jahren wieder erlangt, aber ich habe es erst jetzt geschafft, sie in Kurzform aufzuschreiben. Im Detail habe ich weitere Erinnerungen, die mich lange quälten.
Ich war im Kindergarten-Alter oder kurz davor; wahrscheinlich noch vor dem Kindergarten, weil ich tagsüber daheim war (ansonsten müsste es in den Kindergarten-Ferien gewesen sein). Jedenfalls kam in dieser Zeit tagsüber öfters ein Mann vorbei, der meine Mutter besuchte. Als Kind fand ich das überhaupt nicht ungewöhnlich.
Ich fand es auch nicht ungewöhnlich, wenn meine Mutter diesem Mann einen Kuss gab. Heute ist mir sogar die Erinnerung wieder gekommen, wie sie mit Strapsen auf unserem Sofa saß und sie sich gegenseitig befummelt haben. Als Kleinkind wusste ich das überhaupt nicht einzuordnen. Was ich mir sehr gut gemerkt habe, war das Stöhnen, weil ich das interessant und lustig fand.
Deswegen fand ich es eher lustig, wenn meine Mama mit diesem Mann dann ins Schlafzimmer ging und es dann dort "Ah - Ah" machte. Was ich dagegen gar nicht lustig fand, war, dass ich in das Schlafzimmer nicht hinein durfte. Ich bin einmal von ihr ziemlich barsch aus dem Schlafzimmer hinausgeworfen worden. Ich stand dann vor der Tür und wollte zu meiner Mama und hatte Angst, dass sie mich verlassen wollte und habe deswegen geweint. Das mit dem Mann fand ich dagegen überhaupt nicht ungewöhnlich, sondern eher lustig; der Mann war ja auch nett zu mir und gab mir jedesmal einen Lutscher (was mir sonst verboten war, aber wenn er da war, dann wurde mir der Lutscher nicht weggenommen, sondern durfte ihn tatsächlich behalten). Deshalb freute ich mich schon immer wenn er kam.
Völlig arglos habe ich einmal meinem Vater von diesem Mann erzählt, als er abends nach der Arbeit daheim war. Ich wusste in diesem Alter ja gar nicht, was ein Seitensprung ist, und dachte mir überhaupt nichts böses bei dieser Geschichte. Als mein Vater nicht glauben wollte, dass da ein Mann dagewesen war und mit meiner Mutter im Schlafzimmer war und es dann dort "Ah - Ah" gemacht hat, habe ich ihm den Arbeitskittel gezeigt, den der andere Mann versehentlich an der Garderobe hängen gelassen hatte.
Daraufhin geschah etwas, was ich als Kind überhaupt nicht verstanden habe. In diesem Alter konnte ich es auch gar nicht verstehen. Mein Vater sah den Kittel mehrmals sehr genau an und war äußerst verwundert dass er tatsächlich nicht ihm oder meinem Opa gehörte. Mit dem Kittel in der Hand ging er dann wutentbrannt zu meiner Mutter und stellte sie zur Rede; ich musste mitkommen.
Sie leugnete erst und erfand allerhand Ausreden, die nicht stimmten, aber mein Vater hatte wohl (heute aus Erwachsenensicht interpretiert) ein Beweisstück in Händen. Und ich wurde von ihm als Zeuge missbraucht. Meine Mutter setzte mich unter Druck, dass ich nichts verraten durfte. Er setzte mich unter Druck, dass ich es erzählen musste. Beide bedrohten mich. Aus meinen Tränen war längst Entsetzen geworden, weil ich überhaupt nicht wusste, was los war und was mir geschah. Ich glaube, ich habe dann überhaupt nichts mehr herausgebracht, aber meinem Vater genügte, was er vorher von mir gehört hatte, vor allem das mit dem "Ah - Ah" im Schlafzimmer.
Der Streit zwischen meinen Eltern eskalierte. Mein Vater ging mit einem Lineal auf meine Mutter los und verprügelte sie. Ich bekam Angst, dass er meine Mutter totmachen würde.
Das kam zu meiner eigenen Lebensbedrohung hinzu.
Später wurde ich dann nochmals von meiner Mutter durch die Mangel gedreht, weil ich sie angeblich verraten hatte. Was da genau geschah, ist abgespalten, aber es war auf jeden Fall lebensgefährlich für mich als Kind. Auch das Gesicht dieses Mannes ist bei mir abgespalten; ich habe es trotz vieler Versuche nicht geschafft, mich daran zu erinnern, wer dieser Mann war; ich weiß nur dass ich ihn kannte.
Für mich sind Seitensprünge etwas lebensgefährliches, existenzbedrohliches. Gleichbedeutend mit Katastrophe.
Und ich kann es nicht vertragen, wenn mir jemand ein Geheimnis macht, das gefährliche Folgen für mich haben könnte. Da gehen bei mir sämtliche Alarmglocken los. Im Vorkindergarten-Alter kannte ich noch keine Geheimnisse, habe aber schmerzhaft und auf bedrohliche Weise erfahren, dass es welche gibt und was die Folgen solcher Art von Geheimnissen sind.
Später im Pubertätsalter haben mir meine Eltern dann weisgemacht, sie seien sich immer absolut treu gewesen. Ich hatte diese Geschichte ja auch vollkommen verdrängt. Ich habe die absolute Treue in der Ehe extrem internalisiert und ich konnte diese Ideologie auch nicht hinterfragen, da es für mich nicht nur undenkbar, sondern regelrecht existenzgefährlich war, einen Seitensprung zu begehen oder überhaupt nur daran zu denken.
Als meine spätere Frau dann nach 3 Jahren Ehe einen Seitensprung machte (von dem ich sogar Bilder zu sehen bekam, ganz offen bei einem Diaabend), wagte ich es nicht, das Thema überhaupt nur anzusprechen (weil Panik in mir hochkam, natürlich auch sehr starke Verletzungen), und ich fraß meine Gefühle, meine Verletzungen, die Wut des Hintergangenen, Betrogenen und Ausgenutzten nur noch tiefer in mich hinein, machte mich regelrecht selber fertig.
Mein Unterbewusstsein hatte Angst vor einer ähnlichen Katastrophe, falls ich meine Frau zur Rede stellen würde. Die Katastrophe geschah stattdessen in meinem Inneren: vielleicht war dieser Vorgang der Auslöser für den Beginn meiner inneren Entfremdung von meiner Frau. Ab diesem Zeitpunkt türmten sich die Probleme nur noch auf, anstatt gelöst zu werden. Ich glaube heute, dass die Ehe bereits damals kaputt war, und ich frage mich, was ich mir alles hätte ersparen können, wenn ich mich gleich damals hätte scheiden lassen.
Mir fällt es seitdem schwer, einer Frau zu vertrauen, dass sie keinen Seitensprung macht.
Ich bin gerade dabei, den produktiven Umgang mit diesen Folgen zu lernen. Wahrscheinlich gibt es noch weitere Folgen, die ich demnächst in der Therapie bearbeiten möchte.
(Weitere Beispiele folgen, sobald ich mich dazu aufraffen kann)