Hier sind meine ganz persönlichen Erfahrungen und Ansichten zu diesem kontroversen Thema. Nachtrag: diesen Artikel habe ich vor Jahren geschrieben, als ich mich stark mit der Thematik beschäftigt habe - heute habe ich die geschilderten Symptome nicht mehr oder nur noch extrem selten - dank erfolgreicher Trauma-Therapie.
Unter Co-Bewusstsein versteht man, dass verschiedene Persönlichkeits-Anteile voneinander wissen. In der Literatur steht viel lesenswertes zu diesem Thema.
Den Begriff Co-Gefühl habe ich noch nirgends entdeckt. Ich benutze ihn, um ein anderes, damit verwandtes Phänomen zu beschreiben: meistens weiß ich zwar mit dem Verstand, was ich in einem anderen Zustand gemacht habe und was passiert ist, als gerade ein anderer Persönlichkeitsanteil von mir im Vordergrund war und mein äußeres Handeln beeinflusst hat, aber ich kann meine eigenen Gefühle in diesem anderen Zustand nicht richtig oder nur schwer nachvollziehen.
Ein gutes Beispiel dafür sind Trigger-Zustände, in die ich manchmal gerate, wenn etwas mein Unterbewusstsein an frühere Trauma-Erfahrungen erinnert, z.B. wenn mich jemand anschreit oder wenn ich Angst kriege, dass ich gleich in die Pfanne gehauen werde. Dann reagiere ich mit Schweißausbrüchen, kalten feuchten Händen, Angstgefühlen (die ich im Normalzustand abgespalten habe, gottseidank, weil ich sonst kaum funktionieren könnte) und anderes mehr. Ich kann auch in eine Art Trance-Zustand geraten. In Extremfällen habe ich auch schon Amnesien (Gedächtnislücken) bei mir beobachtet. Auch Zeit-Lücken kommen manchmal vor (hoffentlich selten). Früher war ich mir dessen nicht wirklich bewusst. Heute fällt es mir immer öfters auf, seit ich darauf achte. Meistens kann ich mich zwar an andere Zustände erinnern, aber die Gefühle fehlen oder sind mir nur teilweise zugänglich.
Ein Beispiel für einen Auslöser: vor einigen Jahren fuhr ich in der Abenddämmerung eine Stadtstraße entlang, die als Vorfahrtsstraße beschildert war. Ein entgegenkommendes Auto hielt an, scheinbar um (von sich aus gesehen) nach rechts (also von mir aus gesehen nach links) in eine Parkplatz-Einfahrt einzubiegen, in der gerade ein anderes Auto stand, das offenbar heraus wollte, aber keinen Blinker gesetzt hatte, so dass nicht zu erkennen war, wohin es wollte. Wegen der Dämmerung waren die Fahrer kaum zu erkennen, und ich maß der Szene keine besondere Bedeutung bei, weil sowas ja tagtäglich vorkommt. Plötzlich fuhr letzteres Auto von links aus dem Parkplatz so kurz vor mir quer in die Straße, dass es beinahe gekracht hätte; ich brach meine Vollbremsung erleichtert ab, als der andere ebenfalls bremste und mir dann doch nicht in die Spur fuhr (das ganze hat nur Sekundenbruchteile gedauert). Kurz darauf kam eine rote Ampel, wo ich anhielt. Plötzlich klopfte es an meine Scheibe, und ein extrem erboster Mann fuhr mich wütend an. Ob ich ihn wohl nicht gesehen hätte, und ob ich nicht den geringsten Funken von Anstand hätte, ihn "reinzulassen" und mich kooperativ im Strassenverkehr zu benehmen, nein solche Leute wie mich hätte er gern und ich könne von Glück reden, dass er als Polizist gerade nicht im Dienst sei. Mir blieb die Spucke weg, ich konnte nur stammelnd darauf antworten und geriet in einen Panik-Zustand. Mein Therapeut machte mir später klar, dass der Mann offenbar einen psychischen Abwehrmechanismus benutzte, um seine eigene Schuld an dem Beinahe-Unfall (die nach StVO ganz eindeutig bei ihm lag, da ich Vorfahrt hatte und er von links aus einem Parkplatz kam) herumzudrehen und mir zuzuweisen. Später kam ich zu der These, dass er vielleicht sogar absichtlich (z.B. aus Wut) den Beinahe-Unfall provozierte, weil aus seiner Sicht der mir entgegenkommende Fahrer ihn freiwillig herausließ, ich Böser aber nicht (wobei mir gar nicht klar gewesen war, dass er überhaupt in meine Richtung wollte). Objektiv betrachtet hätte eher ER Angst vor dem Kadi und einem dienstlichen Verfahren haben müssen, falls er mich mutwillig und absichtlich gefährdet hat. Der eigentliche Knackpunkt an dieser Geschichte ist aber meine Reaktion auf seine (vollkommen unberechtigten) Anschuldigungen und Drohungen, die bei mir als Trigger wirkten.
Nach neueren Erkenntnissen von Trauma-Forschern wirken solche Trigger "automaten- und roboterhaft" auf niederer physiologischer Ebene und lösen ein altes Überlebens-Programm aus, das mir einmal in bestimmen Situationen als Kind sehr geholfen hat. Was kann man dagegen tun? In diesem Fall hatte ich Ansatzpunkte für die Deprogrammierung, denn ich weiß, womit dieser Auslöser bei mir verknüpft war:
Als Kind wurde ich von der Polizei vernommen, als die Gerüchte im Dorf umgingen, dass ich bei meiner Mutter im Bett gewesen sei. Ich hatte als Kind die "Schuld" am Missbrauch auf mich genommen, die mir von der Familie zugewiesen wurde (u.a. hatte mich mein Vater so lange geprügelt, bis ich "zugab", meine Mutter "verführt" zu haben). Daher erlebte ich das Polizei-Verhör als Inquisition und Strafe, wo ich lügen musste, um meine Haut zu retten, weil ich scheinbar etwas Schlimmes ausgefressen hatte. In Wirklichkeit hatte ich keine Schuld, sondern wurde von meiner Familie zum Lügen gezwungen. Mein Vater bekam mich vor dem entscheidenden Verhör damit herum, dass er mit Blick auf die Milchflasche meines neugeborenen Bruders sagte, ich solle mir vorstellen, wie das wäre, wenn das Baby Hunger hat und nach Milch schreit und die Mama sitzt im Gefängnis. Er hat mich damit erpresst. Und ich habe durch mein "Lügen" gegenüber der Polizei die Familie "gerettet". Eigentlich müssten sie mir dafür noch heute dankbar sein!
Die Prügel meines Vaters, das Polizei-Verhör und der damit verbundene extreme psychische Druck haben sich so tief in meine Seele eingebrannt, dass ich als Erwachsener in Panik geraten konnte, wenn jemand wütend behauptete, ich hätte irgendetwas Schlimmes angestellt. Seit mir das bewusst geworden ist, hat es sich bereits von alleine verbessert. Ich muss aber noch weiter daran arbeiten.
Seit kurzem ist mir ein wichtiger Aspekt an der Sache bewusst geworden, den ich bisher nicht erkannt hatte: Das Kernproblem liegt wahrscheinlich darin, dass ich im "Normalzustand" (ohne getriggert worden zu sein) keinen ZUGANG zu meinen Gefühlen im getriggerten Zustand habe.
Eigentlich wäre das auch ohne Dissoziation durch normale Abwehr zu erklären: von Angst- und Panik-Gefühlen will wohl kaum ein Mensch freiwillig heimgesucht werden. So gesehen wäre diese Erkenntnis beinahe eine Binsenweisheit.
Meine Zustands-Wechsel gehen jedoch über das hinaus, was sich noch mit Abwehr erklären lässt. Wenn mir im einen Zustand Erinnerungen und Fakten fehlen, die ich im anderen habe, und zwar reproduzierbar auf die Zustände aufgeteilt habe, dann muss das etwas mit Dissoziation zu tun haben.
In einem Zustand etwas zu wissen oder zu fühlen, was im anderen nicht oder nur schwer geht, finde ich einfach ganz fürchterlich. Es behindert mein heutiges Leben, und zwar viel stärker, als ich mir bisher eingestanden habe (seit ich immer mehr meinen dissoziativen Mustern auf die Schliche komme). Einerseits war das früher ein notwendiger Schutz, aber ich möchte mit diesem Handikap nicht auf Dauer weiter leben. Ja, es ist ein Handikap, wenn man so einem Typen wie diesem Autofahrer nichts entgegensetzen kann und sich zwangsläufig niedermachen lassen muss. Und sich dann noch einige Stunden oder in Extremfällen einige Tage in kaum arbeitsfähigem Zustand befindet.
Der Schlüssel zur Verbesserung meiner Lebens- und Behauptungsfähigkeit liegt daher im Co-Bewusstsein und im Co-Gefühl. Wobei ich auf diesem Feld ein gewisses Startkapital habe: viele meiner Persönlichkeitsanteile sind bereits (oder schon immer) großenteils co-bewusst gewesen. Auch das Co-Gefühl ist oft schon vorhanden, wenn auch manchmal nur in Ansätzen. Ein einmal vorhandenes oder z.B. durch meine Trance-Erfahrungen wiedergefundenes Co-Gefühl lässt sich in etwas mühsamer Arbeit weiter ausbauen und verstärken. Mein Ziel ist, irgendwann zu einer ähnlichen Art von Co-Bewusstsein zu kommen, wie sie bei "normalen" Menschen üblich ist. Nach einigen Theorien über das menschliche Bewusstsein und die menschliche Persönlichkeit hat nämlich jeder Mensch verschiedene Persönlichkeits-Anteile, die ihm meist nur nicht klar bewusst sind.
Mein Thera hat mir das mit folgendem Vergleich erklärt: Man stelle sich eine menschliche Gesamtpersönlichkeit wie ein Orchester vor. Da gibt es verschiedene Instrumente wie Geigen, Bass, Holz- und Blechbläser, Pauken, Becken und so weiter. Jedes Instrument verkörpert eine andere Persönlichkeits- und Stimmungslage. Bei einem normalen Menschen spielen diese Instrumentalisten unter der Leitung eines Dirigenten zusammen, so dass nach außen ein einheitliches Klangbild entsteht.
Bei dissoziativen Störungen weiß z.B. das Blech nicht, was die Geigen oder die Pauken spielen. Der Dirigent bekommt nicht alles mit und kann sich auch nicht mit allen Musikern verständigen. So können manchmal ziemlich interessante und verwunderliche Klangeffekte entstehen. Ob sie schön für die Zuhörer sind und einen im Zusammenspiel mit anderen Orchestern weiterbringen, ist eine andere Frage. Ein in sich geschlossenes Orchester wird auf jeden Fall im sozialen Beziehungsgefüge die besseren Karten haben.
An den Stellen, wo das Zusammenspiel und Zusammen-Hören meiner Instrumentalisten schon besser klappt als früher, fühle ich mich auch wohler und zufriedener. Wenn notwendig, dann muss auch mal ein Paukenschlag kommen, aber er sollte zum Stück passen, das gerade gespielt wird. Mitten in eine Liebesromanze passt er jedenfalls nicht, und ein guter Instrumentalist sollte wissen, wann er dran ist und wann nicht. Umgekehrt, wenn der Paukenschlag nicht kommt, wenn er erforderlich ist, um ein Gewitter darzustellen, dann fehlt dem Orchester etwas. Dann ist die Palette seiner Klangfarben reduziert. Leider sind einige meiner Instrumentalisten durch Schelte nach (angeblichen) Fehleinsätzen stumm geworden und spielen im Zweifelsfall lieber überhaupt nicht, anstatt einen Fehleinsatz zu riskieren. Wenn die Kommunikation im Orchester aber besser klappt, wird es Fehleinsätze auch immer seltener geben, da bin ich sicher.
Ich möchte irgendwann die gleiche Klangfarben-Palette erreichen, die andere Menschen von Natur aus haben.