Weitere Informationen zur Entstehung von DIS (MPS) finden sich im Artikel über Trauma. Eine systematische Symptom-Beschreibung steht im Artikel über Dissoziation.
Diese Frage taucht in Internet-Foren immer wieder auf. Viele Überlebende sind total verunsichert. Hier sind Informationen sowie meine Eindrücke, Erfahrungen und Überlegungen zu diesem kontroversen Thema.
Unter "Multi" versteht man landläufig jemanden, der unter Dissoziativer Identitätsstörung (DIS) nach DSM-IV leidet. Diese Bezeichnung ersetzt seit 1994 die frühere Diagnosen-Bezeichnung Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS).
Die neuere Bezeichnung DIS unterscheidet sich vom alten MPS im wesentlichen dadurch, dass nicht mehr zwingend wechselseitige Amnesien (=Erinnerungslücken) zwischen verschiedenen Persönlichkeiten vorhanden sein müssen. Die frühere MPS-Definition hat eigentlich sogar zwingend verlangt, dass zumindest einige Persönlichkeiten überhaupt nichts voneinander wissen durften, damit diese veraltete Diagnose vergeben werden konnte. Eine Eigendiagnose von MPS war daher grundsätzlich nicht möglich -- denn dazu hätte jemand etwas wissen müssen, was er laut MPS-Definition nicht wissen durfte, damit MPS vorliegen konnte.
Heute ist Konsens unter Fachleuten, dass der Extremfall völliger wechselseitiger Amnesien natürlich total an der Realität vorbei geht, denn Fallschilderungen mit zwar von außen unterscheidbaren, aber wechselseitig zumindest teilweise bewussten Persönlichkeiten gibt es seit mehr als 100 Jahren. Bei genauer Betrachtung kommt der Extremfall von absolut 100% wasserdichten Amnesien zwischen sämtlichen Persönlichkeiten so gut wie nie vor.
Wenn jemand sich selbst als "mehrere" erlebt, dann ist das streng genommen ein Widerspruch zur alten MPS-Auffassung, die verlangt hat, dass der Betroffene eben gerade nicht darüber Bescheid weiß. Die neuere DIS-Definition wird der Realität besser gerecht.
Wenn unter Überlebenden von sexuellem Missbrauch über die Frage der Bewusstheit bzw. Co-Bewusstheit versus totaler Abschottung zwischen Persönlichkeiten diskutiert wird, dann ist dies aus Sicht des heute gebräuchlichen psychiatrischen Diagnose-Systems weitgehend irrelevant. Dieses Faktum ist als erstes einmal festzuhalten.
Mir fällt bei solchen Diskussionen auf, dass eine seit rund 20 Jahren veraltete Diagnose (MPS; diese Diagnose existiert heute nicht mehr, da sie durch das besser passende DIS ersetzt wurde; manche wollen die alte Bezeichnung anscheinend überhaupt nicht aufgeben und schreiben deshalb "MPS/DIS" in dieser Reihenfolge, um das MPS zu betonen) immer noch oder erneut benutzt wird. Manchmal wird die längst veraltete MPS-Definition sogar als Unterscheidungsmerkmal zwischen "echten" oder "besonders" Multiplen und "weniger echten" Multis bzw. nicht-ganz-Multis herangezogen. Manchmal wird sogar darauf bestanden, dass es sich angeblich sogar um "echte Personen" und nicht um "Persönlichkeiten" handeln soll.
Welchem Zweck sollen solche Diskussionen dienen? Worum geht es dabei wirklich?
Ich lasse diese Frage mal im Raum stehen.
Dafür stelle ich die Frage nach der Relevanz an einer sehr viel früheren Stelle: müssen unterschiedliche Persönlichkeiten von außen beobachtbar und deutlich unterscheidbar sein, damit eine DIS vorliegt?
Hier sollten wir an einer anderen Stelle ansetzen, nämlich an der Frage: was ist eine Störung im psychiatrischen Sinne?
Wenn etwas nicht von außen beobachtet wird oder sogar prinzipiell nicht beobachtbar ist, dann existiert es für denjenigen nicht, der gerade dabei ist, eine Diagnose zu stellen.
Was wäre, wenn nun jemand zwar unterschiedliche Persönlichkeiten tatsächlich besäße (beispielsweise mit totaler gegenseitiger Amnesie), diese aber lediglich im Normalfall nicht oder nur so selten herauskommen, dass das niemand bemerkt (weder ein Psychiater noch die soziale Umgebung noch der Betroffene selbst)? Wäre das dann ein "Multi" oder nicht?
Dieses Beispiel deckt einen Systemfehler in unserer Art und Weise auf, wie wir Begriffe bilden und Kategorisierungen vornehmen.
Wir achten nicht genügend darauf, ob wir von Symptomen oder von Zuständen sprechen. Außerdem begehen wir einen ziemlich großen gedanklichen Fehler, wenn wir sprechen "jemand ist ein Multi" bzw "jemand ist viele" anstatt "jemand hat die Diagnose DIS erhalten" bzw "jemand hat mehrere Persönlichkeiten in sich" bzw "jemand erlebt sich selbst als viele".
Wo liegt des Pudels Kern?
Der Punkt ist meines Erachtens, dass es bei sämtlichen DIS-Varianten immer um verschiedene symptomatische Ausprägungen (Spielarten) von Dissoziation geht. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Dissoziation nach allem, was man darüber weiß, eine Reaktion auf bzw. eine Folge von schweren Trauma-Erfahrungen darstellt, deren Folge-Symptome sich jedoch auf verschiedene Arten und Weisen äußern können.
Nicht ohne Grund hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass dissoziative Störungen eine Ober-Kategorie bilden, unter der auch DIS nur eine von vielen speziellen Spielarten und Ausprägungen darstellt. Innerhalb der DIS-Diagnose gibt es noch weitere Spielarten.
Andere dissoziative Störungen sind beispielsweise die dissoziative Amnesie, die dissoziative Fugue, Depersonalisation, Derealisation, verschiedene somatoforme Störungen, und nicht zuletzt auch die in der Allgemeinheit bekanntere Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es noch weitere Unterarten dissoziativer Störungen gibt, die bisher nur noch nicht in klinischen Populationen aufgetaucht oder erkannt worden sind. Auch könnten einige momentan als Merkmale angesehene Symptome keine oder keine so starken Hinweise auf die Störung darstellen als man bisher glaubt. Beispielsweise wird bzw. wurde bei manchen Störungen die Suizidneigung als Kriterium verwendet; dies scheint mir aber eher Voraussagekraft dafür zu besitzen, ob jemand in der Psychiatrie landet oder nicht. Wer nicht drin landet, wird nicht untersucht und folglich fällt das bei ihm fehlende Symptom wie z.B. der Suizidneigung auch nicht als fehlend auf.
Die dissoziative Identitätsstörung ist nur eine von vielen dissoziativen Störungen. Andere dissoziative Störungen, die ebenfalls als Trauma-Folgen auftreten können, sind beispielsweise
Beispielsweise unterscheidet sich die dissoziative Fugue von DIS im wesentlichen nur dadurch, dass (bisher) nur zwei oder ganz wenige verschiedene Persönlichkeiten beobachtet wurden, zwischen denen relativ selten, aber relativ unkontrolliert und mit drastischen Folgen umgeschaltet wurde. Zeit-Lücken sind geradezu charakteristisch für dissoziative Fugue. Phänomene wie innere Stimmen und das Gefühl "mehrere zu sein" sowie Zeit-Lücken können insbesondere auch bei der Depersonalisationsstörung auftreten. Treten fast nur Kind-Persönlichkeiten auf, ist sogar vorranging von einer Depersonalisation anstelle einer DIS auszugehen. Das Auftauchen von Kind-Persönlichkeiten ist beispielsweise auch bei dissoziativer Trance möglich.
Rückschlüsse alleine aus den Symptomen, die man selber bei sich beobachtet / beobachten kann, sind daher problematisch.
Wer sich selbst als DIS bezeichnet (oder meint, unbedingt die veraltete Bezeichnung "MPS/DIS" in dieser Reihenfolge verwenden zu müssen), weil er sich als "mehrere" erlebt und fühlt, aber ohne diese Diagnose von einem erfahrenen Fachmann erhalten zu haben, der kann sich bei dieser Eigendiagnose auch irren. Besonders eine Depersonalisation kann sehr ähnliche Symptome zur DIS aufweisen, einschließlich des Auftretens mehrerer Persönlichkeiten.
Die Diagnose DIS sollte nur von einem psychotherapeutisch ausgebildeten und erfahrenen Diagnostiker nach sehr ausführlicher und lange andauernder Beobachtung vergeben werden.
Neuere Erkenntnisse der Trauma- und Dissoziations-Forschung können die bekannten Multi-Phänomene sehr gut erklären; innere Stimmen und verschiedene Persönlichkeits-Zustände, die oft nichts oder kaum etwas voneinander wissen und die manchmal komplett anders fühlen, sich anders kleiden, unterschiedlich bis gegensätzlich reagieren, verschieden sprechen und manchmal auch verschiedene Sprachen sprechen (die bei genauer Betrachtung aber gelernt wurden) sind bekannte Auswirkungen dissoziativer Zustandswechsel (ursprünglich eine enorme Anpassungs-Leistung an Lebensbedrohung in Trauma-Situationen), bei denen unterschiedliche Hirnregionen aktiviert werden. Sie sind mit Trance verwandt, wo ebenfalls andere Hirnregionen aktiv sind als normalerweise.
Als ich einmal nach einer Operation wegen eines Knochenbruchs aus der Narkose aufwachte, hielt ich einen Vortrag auf Englisch, und zwar konnte ich Englisch sehr viel besser als im Normalzustand. Die aufpassende Krankenschwester war von meiner englischen Aussprache anscheinend so beeindruckt, dass sie mich später fragte, ob ich von Geburt Engländer sei. Bisher dachte ich immer, dass meine Aussprache alles andere als perfekt ist. Wie ist das zu erklären? Ganz einfach: beim Aufwachen aus einer Narkose sind ebenfalls andere Hirnregionen aktiv, und ich kann plötzlich Dinge, die ich im Normalzustand "wieder vergessen" habe. Das ist so ähnlich wie beim Vokabel-Pauken: obwohl das Gehirn vermutlich gar alles speichert (auch wenn man ein Wort nur ein einziges Mal gehört oder gelesen hat), kann man es oft nicht abrufen, da es in einer gerade inaktiven Hirnregion gespeichert wird bzw. mit etwas anderem assoziiert gespeichert wird, das beim Abruf nicht zur Suche verwendet wird. Wenn andere Hirnregionen aktiv sind, geht es plötzlich doch wieder.
Die in manchen Internet-Foren vertretene Ansicht, dass Multis "mehrere echte Personen" in einem Körper seien und keine wechselnden Persönlichkeits-Zustände ein und derselben Person darstellten, ist nicht stimmig. Wenn sich als Folge einer Abspaltung / Dissoziation (wann und weshalb auch immer sie stattfindet) eine völlig neue und selbstständige Person bilden würde, dann dürfte diese nichts mit einer anderen Person zu tun haben und auch keine Fähigkeiten von ihr übernommen haben; beispielsweise müsste sie das Lesen vollkommen neu von Grund auf lernen, wie in der ersten Klasse Grundschule. Denn niemand ist mit dieser Fähigkeit geboren worden, und es sind sehr langwierige und aufwendige Trainings-Prozesse der impliziten Gedächtnisse dazu notwendig, die normalerweise Jahre dauern (dafür aber auch kaum wieder "verlernt" werden können).
Wenn eine andere "Person" aber das Lesen und auch das Sprechen bzw. das Verstehen von Sprache(!) bereits kann (was so gut wie immer der Fall ist), ohne dass sie es langwierig lernen und trainieren musste, dann kann sie nicht vollkommen eigenständig sein, sondern muss ihre Fähigkeiten mit einer anderen Person teilen; insbesondere muss sie die impliziten Gedächtnisse wenigstens teilweise gemeinsam mit ihr nutzen. In diesem Fall aber von einer "eigenständigen Person" zu sprechen, halte ich nicht für eine korrekte und angemessene Ausdrucksweise. Der Ausdruck "Persönlichkeit" bringt diese gemeinsame Nutzung lebenswichtiger Gedächtnis-Ressourcen besser zum Ausdruck und sollte anstatt der irreführenden Bezeichnung "Person" verwendet werden.
Siehe hierzu auch der externe Link http://www.dissoc.de/issd30a.html
Seit ich dafür sensibilisiert bin, habe ich praktisch alle typischen Merkmale von DIS bei mir bemerkt. Ich habe aber auch die Merkmale fast aller anderen dissoziativen Störungen ebenfalls bei mir bemerkt, einschließlich Konversions-Symptome in Form einer bisher vollkommen unbekannten Hauterkrankung im Intimbereich mit höchstwahrscheinlich psychosomatischer Ursache, was ich lange vor dem Hochkommen meiner Erinnerungen von einer Uniklinik diagnostiziert bekommen hatte (mit Anraten einer Psychotherapie, was ich damals aber entrüstet von mir gewiesen hatte).
Beispiel innere Stimmen: vor vielen Jahren fuhr ich einmal so auf der Autobahn vor mich hin. Auf einmal schrie eine Stimme neben mir ganz laut und ganz erregt: STOPP!!!. Ohne nachzudenken stieg ich sofort voll auf die Bremse. Erst danach bemerkte ich, dass sich vor mir ein Stau gebildet hatte, in den ich beinahe in meiner geistigen Abwesenheit hineingerast wäre. Dank der Einflussnahme dieser Stimme reichte mir der Bremsweg gerade noch. Als ich stand, sah ich mich im Auto um: niemand da, ich war wie erwartet allein. Da fiel mir auf, dass die Stimme fast wie diejenige meines Vaters klang. Damals hatte ich allerdings meine Missbrauchs-Erfahrungen noch total verdrängt. Heute ist mir klar, dass das auch meine eigene Stimme gewesen sein könnte, da sie auf Tonband-Aufnahmen sehr ähnlich wie diejenige meines Vaters klingt.
Ich hatte früher auch weitere Stimmen bei mir bemerkt; eine Zeitlang gab es sowas wie eine Art "teuflische Stimme", die öfters Kommentare zu meinem Verhalten abgab. Auch diverse Frauenstimmen traten auf, wenn auch sehr selten.
Beispiel Amnesie: es ist schon hochnotpeinlich, wenn bei der Arbeit plötzlich ein Computer-Teil nicht mehr da ist, man sich auf die Suche macht und nichts findet außer ein deutlich sichtbar klaffendes Loch an der Stelle, wo das Teil früher eingebaut gewesen war. Kann eigentlich nur von einem Kollegen "ausgeborgt" (ohne zu fragen) oder vielleicht auch geklaut worden sein. Also nachrecherchiert, aber nirgends was zu entdecken. Eigentlich hatte kaum jemand einen Schlüssel zum fraglichen Raum, und Diebstähle sind eigentlich sehr selten. Welcher Kollege kann sich das Teil nur ausgeborgt haben, und wozu eigentlich? Wer kann mit diesem Idioten-Teil denn was vernünftiges anfangen außer mir? Nachforschungen ergaben, dass das Teil mitten im Betrieb regelrecht herausgerissen worden sein musste. Sehr seltsam.
Irgendwann habe ich das Teil durch Zufall im Schrank eines Kollegen entdeckt, als ich in seinem Auftrag nach etwas anderem suchte. Natürlich diesen Kollegen (bei dem ich das Teil niemals vermutet hätte) zur Rede gestellt: er versicherte mir hoch und heilig, dass ich ihm das Teil höchstpersönlich zur Aufbewahrung übergeben hatte, damit es nicht geklaut würde, als ich gerade in totaler Hetze und Eile war und dringend weg musste. Hochgradig peinlich! Ich konnte mich an überhaupt nichts davon erinnern. Nach einigen sehr angestrengten gezielten Erinnerungsversuchen und Auswerten von Log-Dateien dämmerte mir dann ganz langsam wie durch einen dicken Nebel hindurch, dass es tatsächlich so gewesen sein musste. Ich entdeckte nach mehrmaligen und sehr mühsamen "Ausgrabungen" in meinem Gedächtnis, dass ich in einem ganz anderen Zustand von Erregung und Panik gehandelt hatte, in den ich wegen eines vermuteten Hacker-Angriffs auf meinen Computer geraten war.
Wenn ich mir die Frage "wer hat dieses Teil ausgebaut?" stellen würde, dann würde ich bereits suggestiv voraussetzen, dass es jemand anderer als "ich" war. Eine bessere Frage ist: in welchem Zustand habe ich das gemacht? Oder wenigstens: welcher Persönlichkeits-Teil von mir hat das gemacht?
Ähnliche Szenen erlebte ich eine Zeitlang (während meiner Dekompensations- und Flashback-Phasen) sehr häufig z.B. beim Einkaufen im Supermarkt, wenn sich andauernd Dinge in meinem Einkaufswagen befanden, die ich gar nicht kaufen wollte, oder wenn ich mich plötzlich in einer Tankstelle wiederfand, um darin etwas nach Ladenschluss einzukaufen, ich aber im ersten Moment nicht wusste, was das war und wie ich in diese Tankstelle gelangt war ("was mach ich eigentlich hier????").
Auch in der Therapie kam es in diesem Zeitraum vor, dass ich meinen Thera fragte, was er im vorletzten Satz zu mir gesagt hatte, von dem ich nur die zusammenhanglosen letzten paar Worte kannte, aber nicht mehr den Satzanfang. Was ich vorher zu ihm gesagt hatte, war auch weg, und wenn er es mir erklärte, konnte ich kaum glauben, dass ich das gesagt haben sollte. Bei besonders heiklen Themen kam das öfters vor. Inzwischen erlebe ich derartige "Umschaltungen" bewusster: meist ändert sich nicht nur mein Selbstgefühl, sondern auch die Wahrnehmung meiner Umgebung. Manchmal kommt es mir dann vor, als wäre alles in ein anderes Licht getaucht und als hätten sich die Farben geändert. Manchmal wirkt es auch so, als hätte ich einen Fernseher eingeschaltet oder das Programm mitten in einer laufenden Sendung gewechselt, so dass ich erst den Kontext finden und mich mit dem neuen Stück "aufsynchronisieren" muss, das gerade gespielt wird. Nur stimmt das nicht wirklich, denn das scheinbar neu gespielte Stück ist in Wirklichkeit das alte, nur habe ich den Faden verloren und bin gleichzeitig in einer anderen Stimmung als vorher. Früher habe ich das nicht nur nach außen, sondern auch vor mir selber geheim gehalten.
Bin ich nun ein Multi oder nicht?
Ich denke, die Frage ist falsch gestellt (siehe oben: "habe ich mehrere Persönlichkeiten in mir?" wäre schon etwas besser, aber auch nicht von oberster Wichtigkeit). Ich kenne viele meiner Missbrauchs-Erfahrungen als Kind, ich kenne sogar meine dissoziativen Verarbeitungsmuster in der damaligen Trauma-Situation. Ich kenne mehrere Szenen, wo ich mich als Kind "weggebeamt" habe. Ich kenne einige verschiedene Persönlichkeitsanteile, wie sie in der Trauma-Situation total unterschiedlich reagiert und sich getrennt und voneinander abgespalten haben, weil sie nicht miteinander verträgliche Gefühle hatten bzw. in der Situation nicht ausführbare Handlungen erfordert hätten. Und da soll es eine riesengroße Rolle spielen, ob ich mir selber (denn mein Thera macht das aus Prinzip nicht!) das diagnostische Etikett A oder das Etikett B anhänge?
Hierzu fällt mir folgendes Sprichwort ein:
Anstatt über Angst erzeugende und fatalistische Etikette zu reden, habe ich zielgerichtet und motiviert Therapie, insbesondere auch Trauma-Therapie gemacht. Ich habe, wie es von Fachleuten dringend empfohlen wird, meinen Persönlichkeits-Teilen keine Eigennamen gegeben (siehe z.B. http://www.dissoc.de/issd30a.html oder das Buch von Fiedler), sondern nur funktionale Bezeichnungen (Kind, Beobachter, Clown, Angsthase, etc). Ich habe sie nicht abgelehnt, sondern mich im Gegenteil intensiv mit ihnen beschäftigt. Der Erfolg: Ich bin aus der Dekompensations-Phase heraus, und ich habe heute nicht mehr das Gefühl, wegen meiner dissoziativen Muster lebensuntüchtig oder reif für die Psychiatrie zu sein (in der ich zum Glück nie außer einmal als Kind wegen Bettnässen war). Allerdings hat sich diese bedrohliche Aussicht zwischendrin in meinen absoluten Tiefphasen durchaus gestellt. Ich bin heilfroh, dass ich außer gelegentlichen Behinderungen kaum etwas davon in meinem Alltag spüre und auch keine Katastrophen geschehen. Also wo ist mein Problem?
Ich sehe keins.
Deshalb: Disso ist kein endgültiges Urteil über einen.
Es kommt drauf an, was man draus macht.