Promiskuität / häufige Affären

Zusammenhänge mit sexueller Traumatisierung
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Beziehungsproblemen Untreue und Eifersucht

Unter Promiskuität (wörtliche Bedeutung: "Vermischung", lateinisch promiscere = vermischen) versteht man umgangssprachlich die Verhaltensweise, Sexualpartner ständig zu wechseln, z.B. in Form von häufigen One-Night-Stands oder durch (fast) gleichzeitiges Eingehen mehrerer sexueller Beziehungen.

In der Bevölkerung werden promiske Verhaltensweisen dank der sexuellen Revolution in der Nachfolge der 1968er Bewegung nur selten als problematisch angesehen. Das Single-Dasein (auch von Frauen) ist gesellschaftlich akzeptiert; damit zusammenhängende sexuelle Verhaltensweisen sind heute weitgehend ebenfalls akzeptiert. Promiskes Verhalten wird daher von der Gesellschaft oft nicht als solches erkannt, und Überlebende, die unter ihrem eigenen machmal unerklärlichen promisken Verhalten leiden, finden kaum Hilfe. Ich habe auch kaum Fachliteratur zu diesem Thema gefunden - es wird allenfalls am Rande erwähnt, dass promiske Verhaltensmuster eine häufige Folgeerscheinung von erlebtem sexuellen Missbrauch darstellen, und in manchen Studien findet man erschreckend hohe statistische Zahlen hierzu.

Extreme Formen promisker Verhaltensweisen werden in letzter Zeit immer häufiger als pathologisch angesehen und unter die Rubrik "Sexsucht" eingeordnet (bei Frauen manchmal auch "Nymphomanie" genannt, obwohl sie nur ca. 25% der Sexsüchtigen ausmachen). Durch diese Einordnung wird das Phänomen jedoch bereits aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, der für Überlebende von sexuellen Traumatisierungen unter Umständen auch irreführend (bzw. wegen der Zuweisung einer Pathologie auch schädlich) sein könnte, wenn es um Zusammenhänge mit Missbrauchs-Dynamiken geht, die in der klassischen Sucht-Betrachtungsweise meist ignoriert werden.

Da die meisten Überlebenden nicht oder nur phasenweise zu extremem suchtartigem Sexualverhalten neigen, sondern stattdessen einfach nur mit Konflikten zwischen ihrer mühsam errungenen und mühsam in Gang gehaltenen "festen Beziehung" und gelegentlichen Seitensprüngen sowie mit destruktiven Auseinandersetzungen und Teufelskreisen rund ums Thema "Untreue / Eifersucht" (meist in Vorstadien wie Flirten) kämpfen, halte ich es für hilfreich, diese Themen ebenfalls mit einzubeziehen und die Thematik insgesamt in einem größeren Zusammenhang zu stellen.

In diesem Artikel werde ich diese spannenden und teilweise kontroversen Themen aus mehreren Blickwinkeln betrachten und mich insbesondere mit der Frage beschäftigen, wie sexuelle Traumatisierung und Promiskuität zusammenhängen könnten.

Evolutionspsychologische Hintergründe von Untreue und Eifersucht

Auch für Singles, die sich vordergründig nicht mit Untreue in einer (nicht vorhandenen) festen Beziehung und demzufolge auch kaum mit Eifersucht herumschlagen müssen, jedoch etwas über Promiskuität erfahren wollen, ist es außerordentlich hilfreich, sich anzusehen, weshalb die Natur die Möglichkeit zum Partnerwechsel vorgesehen hat, welche Mechanismen diese Vorgänge regulieren, und wie sich Promiskuität teilweise davon unterscheidet und sich teilweise damit überschneidet.

Untreue

Menschliche Untreue wird von einigen Evolutionsbiologen besonders seit den 1968er Jahren dadurch erklärt, dass sie einen Vorteil durch bessere Durchmischung der Gene bringen soll, d.h. die genetische Variabilität der Nachkommenschaft wird durch Untreue / Promiskuität angeblich erhöht. Dieses Argument steht meines Erachtens aus mehreren Gründen auf ziemlich dünnen Säulen: (1) wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen zeigen, dass unter der Annahme sehr großer Populationen und statistischer Unabhängigkeit bei der Wahl von Kopulationspartnern die daraus resultierenden Halbgeschwister im statistischen Mittel kaum höhere genetische Variabilität aufweisen als Vollgeschwister, die aus einer einmaligen Lebenspartnerwahl entstehen; auch unter anderen Annahmen sind die zu erwartenden Effekte bei der unter Menschen üblichen relativ geringen Geschwisterzahl relativ gering. (2) der differenzielle Anteil genetischer Einflussfaktoren am gesamten menschlichen Fortpflanzungserfolg ist ohnehin sehr begrenzt, beispielsweise im Vergleich zu Umweltbedingungen.

Das Hauptargument gegen diese stark reduzierte biologische Sichtweise wird jedoch von Evolutionspsychologen geliefert: Die Aufzucht menschlichen Nachwuchses benötigte bereits in der Steinzeit viele Jahre, in denen sowohl die Frau als auch das Kind lange Zeit auf die Versorgung durch den Mann existentiell angewiesen waren. Weshalb ist die Steinzeit hierfür so wichtig? Ganz einfach: sie dauerte mehr als eine Million Jahre, unsere neuere Kulturgeschichte gibt es hingegen erst seit ein paar tausend Jahren, das liegt im Vergleich dazu nur in der Größenordnung weniger Promille!

Der Mechanismus der langfristigen Partnerschafts-Bindung wurde offensichtlich von der Evolution während Millionen von Jahren erfunden, um die materielle Versorgung des Nachwuchses längerfristig sicherzustellen; auch zur emotionalen Reifung des Kindes ist nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen eine konstante männliche Bezugsperson notwendig.

In einfacher Alltagssprache ausgedrückt: wechselte der männliche Bindungspartner in der Steinzeit, dann sanken die Chancen des Kindes erheblich, überhaupt großgezogen zu werden, d.h es musste mit viel höherer Wahrscheinlichkeit verhungern, wenn der Mann nach einem Seitensprung seine Partnerin verließ und in der Übergangszeit bis zum Aufbau einer neuen stabilen Partnerschaft niemand auf Jagd ging. Nicht nur in Märchen werden Kinder von "bösen Stiefeltern" buchstäblich "stiefmütterlich" behandelt - man kann das auch heute noch in Zeitungsberichten lesen.

Unsere Existenz ist also solchen männlichen Vorfahren zu verdanken, die sich an ihre Frauen gebunden haben. Da sowohl männliche als auch weibliche Untreue diese Bindungen stark gestört hätten, ist davon auszugehen, dass Untreue aus evolutionspsychologischer Sicht einen gravierenden Risiko- und Störfaktor darstellt. Zumindest "offene Untreue im großen Stil" kann also unter unseren Vorfahren nicht der Regelfall gewesen sein, denn sonst würden wir nicht existieren!

Noch plastischer ausgedrückt: wenn einer meiner Vorfahren auf Dauer promisk gelebt hätte, dann hätten seine daraus hervorgegangenen Kinder wohl kaum überlebt; also kann dieser Vorfahr nicht mein Vorfahr gewesen sein und ich selber würde nicht leben. Meine eigene Existenz verdanke ich dem weitgehend nicht-promisken Verhalten meiner Vorfahren!

Im Klartext: die Stabilität einer Partnerschafts-Beziehung entscheidet über Leben oder Tod! Oder andersherum: längerfristige Beziehungen sind für uns Menschen deshalb so wichtig, weil von ihnen unser Leben abhängt!

Folgerung: Andauernde (d.h. nicht in Richtung einer stabilen Beziehung aufgelöste) Promiskuität gefährdet nicht nur die eigene, sondern auch fremde menschliche Fortpflanzung und ist daher aus Sicht der Evolutionspsychologie ein Fortpflanzungshemmnis, das sich gegen die Grundlagen menschlicher und gesellschaftlicher Existenz richtet.

Davon zu unterscheiden ist vorübergehende Promiskuität, die unter gleichaltrigen Jugendlichen einen möglicherweise notwendigen Entwicklungsschritt darstellen kann, bei dem der evolutionäre Werdegang der menschlichen Gesellschaft quasi "im Zeitraffer" (angefangen von der Embryonalentwicklung) nachvollzogen wird.

Einzelne Seitensprünge / Wildern / Horden-Verhalten

Wildern

Ein erfolgreich vollzogener Seitensprung ist nur dann möglich, wenn beide Beteiligte ihn gewollt haben - egal wer die ursprüngliche Initiative ergriffen hat. Es gibt bei diesem Vorgang mindestens einen Partner, der seine Hauptbeziehung gefährdet.

Im Regelfall weiß der Seitensprung-Partner von der bestehenden Hauptbeziehung oder kann ihre Existenz zumindest erahnen. Dieses Wissen macht eine weitere Feinunterscheidung notwendig:

Evolutionspsychologen bezeichnen Versuche von Männern oder Frauen, einen neuen Beziehungs- oder Sexualpartner zu finden, der bereits eine Beziehung eingegangen ist, als Wildern. Die Gefährdung der Hauptbeziehung wird dabei vom Wilderer in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt. Durch diese (Neben-)Motivation (Unterschied zur Neupartner-Suche momentan Ungebundener) rechtfertigt sich auch die Bezeichnung "Wildern".

Was Wildern ist, hat wohl jeder Erwachsene schon bei anderen beobachtet oder selbst erfahren.

Ein Wilderer allein kann aber die Beziehung nicht gefährden, wenn nicht der angesprochene Beziehungspartner in irgend einer Form beim Wildern mitspielt / teilnimmt (sofern er es nicht sogar initiiert hat). Viele Leute betrachten Flirten generell als ein "harmloses Vergnügen"; nach weit verbreiteter Ansicht fängt beziehungsgefährdendes Verhalten generell erst beim Küssen oder beim vollzogenen Geschlechtsverkehr an. Dies ist jedoch aus evolutionspsychologischer Sicht vollkommen falsch: Flirten und anderes Partner-Werbeverhalten wurde von der Evolution erfunden, um die Fortpflanzung sicherzustellen. Eine Beziehungsanbahnung durchläuft immer mehrere Stadien (angefangen von Blicken, über Flirten, vorsichtiger Körperkontakt, Küssen, sexuelle Erregung bis hin zum Geschlechtsverkehr); die frühen Stadien des Flirtens werden dabei immer durchlaufen. Ein Seitensprung ist ohne Flirten überhaupt nicht vorstellbar!

Das Flirten stellt daher in der Praxis sogar das Hauptwerkzeug für Wilderer-Versuche dar.

Dies wird auch von Studien über sexuelle Untreue bestätigt: je häufiger jemand flirtet (z.B. einen sogenannten "spielerischen Liebesstil" pflegt), desto häufiger neigt er laut Statistik auch zu schwereren Formen von Untreue.

Umgekehrt muss jedoch nicht jedes Flirten als Teilnahme an einem beziehungsgefährdenden Wildern wirken. Es geht hier nicht darum, ob es beziehungsgefährdend ist, sondern wie es wirkt! Wie ein bestimmtes Verhalten wie Flirten wirkt, hängt nicht nur vom Sender (hier der nichtverbalen Augenkontakt- und Körperhaltungs-Botschaften) ab, sondern in viel stärkerem Maße vom Empfänger. Was für den einen als "harmloses Vergnügen" erscheinen mag, kann für einen anderen bitterer Ernst darstellen (siehe auch Unterartikel über Eifersucht). Ebenso verhält es sich mit dem vom Wildern passiv betroffenen Beziehungspartner, falls er eine Flirt-Interaktion mit einem anderen (Fremden oder "guten Bekannten") miterlebt: ob er das als harmlos ansieht oder ob er die Beziehung als in Gefahr empfindet, kann man ihm nicht vorschreiben - denn Gefühle wie Verliebtsein oder Eifersucht kommen und gehen, ohne dass man genau weiß, wo sie herkommen.

Ursachen für Seitensprünge

Da einzelne (oftmals geheim gehaltene) Seitensprünge relativ häufig vorkommen (laut anonymen Studien in bis zu 50% aller Beziehungen in westlichen Industrieländern), wird ihre Existenz auch von Evolutionspsychologen mit den o.g. älteren biologischen Argumenten begründet: sogenannte "Kuckuckskinder" (bei denen der Mann glaubt, es stamme von ihm, in Wirklichkeit stammt es jedoch von einem Konkurrenten) erhöhen angeblich die genetische Variabilität und stellten daher einen Überlebensvorteil dar.

Dagegen habe ich neben den o.g. allgemeinen Argumenten zwei weitere Haupteinwände:

  1. Jeder Seitensprung stellt ein Risiko für die Stabilität der Hauptbeziehung dar, zumindest falls er auffliegt (allerdings wird auch ein geheimer Seitensprung die Beziehung in irgendeiner Form untergraben). Seitensprünge reduzieren also stets die Chancen des Nachwuchses auf Überleben! Dieser Nachteil wirkt einem möglicherweise vorhandenen geringfügigen genetischen Vorteil entgegen und begrenzt diesen daher unter Gleichgewichts-Annahmen so stark, dass damit das relativ hohe Vorkommen von Seitensprüngen wohl kaum noch erklärt werden kann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Evolution einen derart gewichtigen Störfaktor nicht ausgemerzt hätte.
  2. Das vorgestellte evolutionspsychologische Modell basiert auf der Annahme von Kleinfamilien mit genau einem Vater und einer Mutter. In der Steinzeit war jedoch über lange Perioden hinweg (außerhalb derer es je nach Nahrungsangebot auch Kleinfamilien gegeben haben mag) das Modell der Großfamilie und vor allem das Hordenmodell vorherrschend.

Schauen wir uns an, wie die Partnerwahl in Affenhorden reguliert wird: eine Horde wird von einem männlichen Leittier angeführt, dessen Hierarchie-Stellung zu den anderen Männchen und zwischen den anderen Männchen durch gelegentliche Rangkämpfe festgelegt wird ("Hackordnung"). Je höher ein Männchen in der Hierarchie steht, desto häufiger kann es eins der Weibchen begatten.

Ähnliche Rang-Hierarchien findet man heute noch in manchen Naturvölkern oder z.B. in orientalischen Dorf-Clans, bei denen die Anführer oft einen Harem besitzen, oder in unserer europäischen Geschichte im Mätressen-Wesen unserer Fürsten- und Königshäuser.

Die meisten Begattungen werden in solchen Systemen vom Leittier / Clanchef ausgeführt, die wenigsten vom untersten Männchen. Umgekehrt gibt es innerhalb der Weibchen ebenfalls eine Hackordnung, bei denen die obenstehenden Weibchen ebenfalls häufiger begattet werden als die tieferstehenden. Dies ist evolutionstheoretisch sinnvoll, wenn man annimmt, dass "starke" Männchen oder Weibchen "bessere" Gene als "schwache" besitzen und sich daher sinnvollerweise öfters fortpflanzen sollten (wobei dieser Effekt jedoch auch durch andere entgegenwirkende Effekte begrenzt wird). Zumindest das Leittier wird normalerweise mit extremer Eifersucht auf Kopulationsversuche rangniedrigerer Männchen reagieren. Daher versuchen die rangniederen Männchen (sofern sie das Leittier nicht dauerhaft von ihrem Platz vertreiben wollen), ihre Begattungsversuche nur dann auszuführen, wenn das Leittier gerade nicht hinsieht oder mit anderen Tätigkeiten beschäftigt ist (Geheimcharakter von Seitensprüngen, Sinn des Wilderns). Ähnliche Effekte sind auch innerhalb der weiblichen Hierarchie anzunehmen, insbesondere wenn das Leittier der gesamten Horde weiblich ist (was beim Menschen im Matriarchat durchaus vorkommen kann; wer dies nicht glaubt, sollte sich die Geschichte von Katharina der Großen ansehen).

Nach dieser Theorie wären Seitensprünge als temporäre Durchbruchsversuche einer Horden-Rangordnung anzusehen.

Dieses Modell ist jedoch auf Vorgänge innerhalb einer Horde begrenzt, innerhalb derer eine Vorbeziehung zwischen den Seitensprung-Partnern besteht (Analogie dazu: quasi-geheime Seitensprünge innerhalb einer Dorfgemeinschaft, von der alle außer dem Hintergangenen wissen). Es erklärt beispielsweise nicht, weshalb in modernen nicht-monogamen Kommunen zwar Freizügigkeit beim internen Partnerwechsel herrscht, sexuelle Beziehungen mit Außenstehenden jedoch streng verpönt sind und meist zu harten Sanktionen der Gruppe gegen den "Abtrünnigen" führen. Aber auch Seitensprünge in Kleinfamilien, bei denen One-Night-Stands mit Fremden eine Rolle spielen, lassen sich damit nicht erklären. Selbst "tolerante" Paare, die sich gegenseitig wechselnde Außen-Sexualkontakte zugestehen, reagieren extrem eifersüchtig, wenn statt eines One-Night-Stands eine dauerhafte emotionale Bindung an einen Affären-Partner zu entstehen droht (emotionale Untreue).

Im Folgenden nehmen wir vereinfachend an, dass eine Kleinfamilie nichts anderes als eine sehr kleine Horde darstellt, in der der Mann die Rolle des männlichen Leittieres und die Frau die Rolle des weiblichen Leittieres innerhalb der weiblichen Seite der Hackordnung darstellt. Welcher von beiden die Rolle des Clanchefs ausübt, liegt beim Menschen nicht fest: wohl jeder hat schon Beziehungen beobachtet, in denen sich der Mann der Frau in wichtigen Fragen unterordnet.

Sehen wir uns folgende Analogie an: wenn ein orientalischer Clanchef den Ehebruch einer seiner Haremsfrauen mit einem Fremden entdeckt, muss sie mit Ausstoß aus der Sippe oder gar mit Steinigung rechnen, was ihre Fortpflanzungschancen auf Null reduziert. Daher zerbrechen auch Kleinfamilien häufig an aufgedeckten Seitensprüngen. Für die bisherige Beziehung sind sie in jedem Falle existenzbedrohlich.

Wir müssen also nach etwas suchen, wodurch auch Seitensprünge mit Fremden den Fortpflanzungs-Erfolg in der Steinzeit erhöht haben müssen.

Seitensprünge mit Fremden sind genau dann erfolgreich im Sinne der Fortpflanzung, wenn daraus eine bessere und stabilere neue Partnerschaft mit besserer Versorgung der Nachkommenschaft entsteht.

Eine Möglichkeit hierzu gibt es in folgendem Steinzeit-Szenario: oft gab es lange Perioden mit knappem Nahrungsangebot und Gefahr von Hungertod, in denen die Versorgung des Nachwuchses extrem gefährdet war. Dies konnte gelegentlich dazu führen, dass rivalisierende Horden miteinander einen Kampf um die Nahrung führten. Die Weibchen der unterlegenen (schwächeren) Horde wurden dann gelegentlich von der "stärkeren" Horde aufgenommen, allerdings zum Preis einer unteren Hierarchie-Stellung. Man findet Beschreibungen derartiger Vorgänge nicht nur im römischen Mythos vom Raub der Sabinerinnen, sondern auch im Alten Testament.

Demnach könnte die Seitensprung-Bereitschaft oder -Initiative von Frauen also etwas damit zu tun haben, dass in der neuen Beziehung (in einer neuen Horde) eine bessere Versorgung als Belohnung winkt - jedenfalls in der subjektiven Vorab-Einschätzung im Vergleich zu einer instabilen oder sonstwie desolaten momentanen Beziehung. Da auch Männer in einer Beziehung eine emotionale und sexuelle Versorgung durch die Partnerin erfahren, kann dieses Motiv auch bei ihnen hinter einem Seitensprung oder hinter Wilderer-Versuchen stecken.

Seitensprünge sind in diesem Modell also als Versuche anzusehen, eine andere (bessere) Horde / Beziehung zu finden, und für diese vagen Zukunfts-Aussichten die jetzige Beziehung (im Extremfall auch die eigene Existenz!) aufs Spiel zu setzen.

Hieraus kann man ableiten, dass Seitensprünge höchstwahrscheinlich auf irgend eine Notlage eines oder beider Partner (evtl. auf psychischer Ebene) hinweisen. Es gibt Untersuchungen, wonach die Wahrscheinlichkeit von Seitensprüngen nicht nur von Gelegenheiten, sondern auch von der Zerrüttetheit der Beziehung und der Attraktivität des Seitensprung-Partners abhängt.

Ablauf von Seitensprüngen bei Frauen

Nach meinem Versorgungs-Belohnungs-Modell läuft ein Seitensprung bei Frauen meistens in zwei Phasen ab: (1) geheime Kontaktaufnahme mit Partnerwerbungs-Verhalten (z.B. Flirten, Küssen), bei dem getestet wird, ob der neue Partner halten könnte, was er zu versprechen scheint. Fällt dieser Test wie in den allermeisten Fällen negativ aus, wird der Seitensprung so rasch wie möglich beendet, um die Hauptbeziehung nicht weiter unnötig zu gefährden. Verläuft diese Phase ausnahmsweise erfolgreich in dem Sinne, dass sich eine halbwegs stabile Nebenbeziehung mit Konsens über eine angestrebte neue Hauptbeziehung gebildet hat (was in der Praxis nicht so häufig vorkommt), kommt es irgendwann zum (2) offenen Wechsel der Fronten: der bisherige Mann wird verlassen und eine offen sichtbare Beziehung mit dem neuen Partner eingegangen.

Hieraus können viererlei Endergebnisse entstehen:

  1. Eine kurze Affäre durch baldigen Abbruch von Phase (1), wenn entweder Entdeckungsgefahr besteht (zu hohe Gefährdung der alten Beziehung) oder zu geringe Erfolgsaussichten für die neue Beziehung gesehen werden. Rückkehr zur Hauptbeziehung. Wird der Seitensprung im Nachhinein entdeckt oder offenbart, sind die Überlebenschancen der Hauptbeziehung relativ hoch; in günstigen Fällen kommt es zu einer Aussprache über die bisher verdeckten Motive und zu einer Verbesserung der Hauptbeziehung.
  2. Eine langfristige Nebenbeziehung (sog. "Daueraffäre") durch Steckenbleiben in Phase (1); dies kann auch durch heftige Schuldgefühle / schmerzhafte Doppelbindung (schmerzhafte Ambivalenz) verursacht werden (oder umgekehrt: schmerzhafte Doppelbindung als Folge dieser Situation / Henne-Ei-Problem). Wird dieser Zustand entdeckt oder offenbart, sind die Überlebenschancen der Hauptbeziehung etwas geringer als bei Ergebnis 1), d.h. es geht mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Ergebnisse 3) oder 4) über. Da Daueraffären in der Regel sehr schmerzhaft (Zusammenhang mit versteckter Selbstbeschädigung möglich / bei Überlebenden sehr wahrscheinlich) für den Fremdgehenden verlaufen, wird dadurch auch der unwissende Hauptpartner indirekt in Mitleidenschaft gezogen (z.B. Verwirrung seiner Gefühle durch die Lügen und Ausreden, Somatisierungen wie unerklärliche Gewichtszunahme, Beziehungskrisen durch Entleerung / "Tote Beziehung"). Im einigen Fällen kann das Steckenbleiben in Phase (1) jedoch auch mit Wissen des Haupt-Partners geschehen, der den Zustand zähneknirschend akzeptieren muss oder vielleicht sogar (insgeheim) froh darüber ist, z.B. falls er ebenfalls bereits eine Nebenbeziehung eingegangen hat. Im Extremfall bleibt von der Hauptbeziehung nur eine leere Hülle (z.B. Wahrung des gesellschaftlichen Scheins, Rücksicht auf die Kinder, Erhalt der gemeinsamen Firma etc) übrig.
  3. Trennung / Scheidung der alten Beziehung, wobei die Phase (2) nicht zu Ende gegangen wird: hierbei wurde der neue Partner hauptsächlich als Dienstleister von Hilfsdiensten zum Beenden der Altbeziehung eingesetzt (Überwinden des Trennungsschmerzes etc) und wegen geänderter Wahrnehmung der Zukunftsaussichten der neuen Beziehung (oder mangels sonstiger Attraktivität) verlassen, so dass er nicht in den Genuss der Vorteile der versprochenen neuen Beziehung kommt.
  4. Klassischer Frontenwechsel durch Abschließen der Phase (2). Ob die neue Beziehung tatsächlich besser als die alte ist und ob sie dauerhaft ist, kann sich prinzipbedingt erst nach einiger Zeit herausstellen; wegen höherer Belastungsmomente und wegfallender Motivationen aus der Beendigung der Altbeziehung sind die tatsächlichen Aussichten der Neubeziehung tendenziell eher geringer als bei aus freien Stücken eingegangenen Neubeziehungen.

One-Night-Stands, die von vornherein auch auf der unbewussten Ebene für das Ablaufschema 1) vorgesehen sind und keine Bindung zum Ziel haben, weisen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf einen Seitensprung-Versuch, sondern auf ein davon zu unterscheidendes promiskes Muster hin, dessen mögliche Ursachen später behandelt werden.

Ablauf von Seitensprüngen bei Männern

Männer haben im allgemeinen weniger Hemmungen, eine Nebenbeziehung offen zu zeigen oder offen auf die Wilderer-Pirsch zu gehen. Da sie den Umgang mit Rangkämpfen auch in anderer Hinsicht beherrschen müssen, können sie es sich wie im Falle von Clanchefs eher leisten, mehrere Beziehungen auch der Partnerin gegenüber zu offenbaren. Dieser bleibt im Extremfall nur noch übrig, die Verhältnisse zähneknirschend zu schlucken, sofern sie keine anderen Machtmittel hat oder sich wegen existentieller oder psychischer Abhängigkeiten (die gerade bei destruktiven Überlebenden-Beziehungen Merkmalscharakter haben) nicht von ihm lösen kann.

Durch die geringeren Hemmungen ist weiterhin erklärbar, weshalb Männer in Untersuchungen angeblich etwas häufiger als Frauen Seitensprünge begehen - was objektiv nicht stimmen kann, weil an jedem einzelnen Seitensprung genau 1 Mann und genau 1 Frau beteiligt sind.

Dies erklärt auch, weshalb moderne beruflich unabhängige Frauen ebenfalls zu einem offeneren Umgang mit Affären tendieren.

Der Ablauf von Seitensprüngen unterscheidet sich ansonsten nicht grundlegend zwischen Männern und Frauen.

Folgerung: Übertragung auf Familien mit Missbrauchs- und Misshandlungs-Dynamiken

Der Partnerwechsel dürfte von der Evolution aus gutem Grund erfunden worden sein: unaushaltbare Notlagen gefährdeten nicht nur in der Steinzeit den Nachwuchs, sondern tun dies auch heute. Familien, in denen Misshandlung und Missbrauch vorkommt, leben in einer solchen Notlage. Kaum etwas schadet dem Nachwuchs mehr als sexuelle und körperliche Misshandlung!

Ausgerechnet diejenigen Mütter, die etwas vom sexuellen Missbrauch ihres Kindes mitbekommen, schaffen es jedoch bekanntermaßen meistens nicht, sich von ihrem misshandelnden Partner zu lösen und einen neuen dauerhaften Beziehungspartner zu finden, bei dem die Gefärdung des Nachwuchses aufhört. Die Gründe hierfür dürften nicht nur in existentiellen Abhängigkeiten und psychischen Bedürftigkeiten, sondern auch in gesellschaftlichen Zwängen liegen: besonders die Kirchen verbieten den Partnerwechsel seit jeher strikt, sogar wenn der Partner das eigene Kind missbraucht. Anscheinend wird in konservativen Moralvorstellungen selbst der Partnerwechsel aus einer existenzgefährdenden Notlage heraus als "Untreue" angesehen, die anscheinend schwerer wiegt als beispielsweise das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs. Hier wäre dringend ein Umdenken erforderlich: was die Natur in Jahrmillionen geschaffen hat, um das Weiterleben zu ermöglichen, sollte man nicht verteufeln, sondern dann nutzen können, wenn es berechtigt ist.

Eifersucht

Eifersucht wird von vielen Leuten als ein unangemessenes oder unakzeptables Gefühl angesehen, das nicht gezeigt werden darf. Im hier zugänglichen Unterartikel über den produktiven Umgang mit Eifersucht wird erklärt, weshalb Eifersucht eins der wertvollsten Gefühle darstellt, das wir Menschen besitzen.

Eifersucht ist der von der Evolution erfundene Gegenspieler zur Untreue, dem wir unsere Existenz verdanken, weil er bei unseren Vorfahren verhindert hat, dass ihre Kinder (ebenfalls unsere Vorfahren) aufgrund von unberechtigter Untreue verhungern mussten.

Zum Unter-Artikel über Eifersucht.

Erklärungsversuche von Promiskuitiät

Unter promiskem Verhalten werden hier sexuelle Kontakte (auch in Vorstadien zum Geschlechtsverkehr wie Küssen oder Petting) verstanden, die nicht auf Aufnahme einer dauerhaften Beziehung ausgerichtet oder sogar ausdrücklich gegen eine solche gerichtet sind.

In Reinform kommt Promiskuität nur selten vor; zwischen einem vollkommen seelenlosen Sexualpartner-Tausch nach dem Vorbild von Porno-Filmen und der absoluten lebenslänglichen Beziehungstreue nach katholischer Lehre gibt es in der Bevölkerung unzählige Zwischenformen. Speziell bei Überlebenden kann es weitere Sonderformen geben, beispielsweise wenn jemand eine spezifische Angst vor Geschlechtsverkehr hat und deshalb promisken Sex in anderen Formen auslebt.

Wir sehen uns zunächst klassische Erklärungen an, die sexuellen Missbrauch nicht ins Kalkül ziehen, und gehen erst dann zu spezielleren Erklärungen über.

"Normales Verhalten"

Zunächst einmal muss klargestellt werden, dass manche promiske Verhaltensweisen durchaus normal sein können. Insbesondere gehört es zur ganz normalen Entwicklung von Jugendlichen, wenn sie in manchen Phasen ihrer sexuellen Entwicklung mit Gleichaltrigen experimentieren.

Die Beobachtung, dass Jugendliche dabei häufiger in den Vorstadien wie Küssen und Petting verbleiben und es oftmals nicht zum Geschlechtsverkehr kommt (der in unserer Gesellschaft durchschnittlich erst mit 17 bis 18 Jahren zum ersten Mal ausgeführt wird, in konservativeren Gesellschaften noch wesentlich später), deckt sich mit der Vermutung, dass es sich dabei um ein Nachvollziehen der evolutionären Entwicklung der Menschheit im Zeitraffer-Tempo handeln könnte. Promiske Kontakte unter Jugendlichen, die in der Steinzeit zu Kindern führten, für die kein dauerhafter Partner sorgen konnte, stehen jedenfalls im Widerspruch zu den bisherigen Erkenntnissen der Evolutionspychologie.

Überlebende von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung in der Kindheit oder als Jugendliche haben oftmals ein Entwicklungsdefizit. Daher kann man vorübergehende Entwicklungsphasen mit promisken Experimenten, die im späteren Erwachsenenalter ausgeführt werden, unter dem Aspekt der Entwicklungs-Nachholung sehen.

Partnerschaftsprobleme

In der klassischen Psychologie werden Seitensprünge oft als Auswege / Ventile für klassische Partnerschaftsprobleme angesehen. Diese Theorie stellt meist keine Verknüpfung mit Vorerfahrungen wie sexuellem Missbrauch her. Trotzdem sollten wir sie uns ansehen, denn zumindest mitspielen könnten diese Effekte auf jeden Fall.

Worin bestehen diese Partnerschaftsprobleme?

Hauptsächlich "mangelnde Kommunikation". Studien zeigen, dass in langjährigen Ehen die durchschnittliche Redezeit der Partner pro Tag nur noch etwa 8 Minuten beträgt. Auch wenn dies nicht die gesamte Kommunikation darstellt, sondern auch körpersprachliche Kommunikation wie z.B. die gegenseitige Versorgung mit Geld, Essen oder Annehmlichkeiten stattfindet (daneben aber auch negative körpersprachliche Kommunikation wie z.B. stundenlanges ödes Fernsehen = Abwendung vom Partner), so stellt sich damit doch die Frage, wie dies mit den übersteigerten Erwartungen der verliebten Anfangsphase der Beziehung zusammenpasst. Jeder Mensch erwartet ja eigentlich von der Beziehung etwas anderes: Wertschätzung, Gesehen- und Gefühltwerden, tiefe innige Gefühle und Zuwendung. Genau dies findet kaum noch bzw. nur noch in erstarrten ritualisierten Formen statt.

Was steckt hinter dieser "eingeschlafenen" Kommunikation?

Nun, eine "eingeschlafene Beziehung", bei der jeder etwas vor dem anderen verbirgt und versteckt. Oder eine nur oberflächlich eingeschlafene Beziehung, bei der es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche in Wirklichkeit brodelt und kocht (destruktive / neurotische / psychotische oder Borderline-Beziehungsmuster). Letzeres ist an Ausbrüchen (Eruptionen) zu erkennen, die gelegentlich die "Funkstille" zerreißen, aber meist nicht zu einer Klärung, sondern eher zu einer Verschlimmerung der Lage und damit zu Unglücklichsein führen.

Gemeinsam ist beiden Unterformen, dass nicht mehr geredet werden "darf", zumindest nicht über die wirklichen Probleme, Wünsche und Sehnsüchte (wie z.B. sexuelle Wünsche), ähnlich einem Tabu. Tabus dienen hintergründig immer dem (Selbst)-Schutz vor irgendetwas. Wovor soll dieses Rede- und Klärungs-Tabu denn nun schützen?

Meistens ist es wohl die Angst vor sich selber, die Angst vor weiteren Kränkungen und Gesichtsverlust. Das Risiko einer Aussprache über Wünsche, Sehnsüchte (aber auch über Probleme, Kränkungen, Verletzungen) liegt darin, dass man dabei "Federn lassen" könnte, z.B. wenn man über sexuelle Wünsche redet. Die lassen sich gegen Geld bei Prostituierten oder einem sogenannten "Begleitungs-Service" viel einfacher und mit geringerem Risiko realisieren. Letztlich geht es dabei also um den Selbstwert.

Edel-Prostituierte von Begleit-Services berichten immer wieder, dass ihre Hauptaufgabe nicht unbedingt nur beim Sex liegt, sondern vor allem als Ansprechpartner für eben all die Alltags- und Beziehungsprobleme, die in der Hauptbeziehung nicht besprochen und ausgetragen werden. Manche finden sich unversehens in der Rolle von Ersatz-Therapeuten wieder, teilweise auch in der Rolle von gesellschaftlichen "Müll- und Aufräumarbeitern". In den promisken Beziehungsmustern wird also offensichtlich etwas ausgelebt, das in der Hauptbeziehung fehlt bzw. dort vielleicht sogar aktiv unterdrückt wird.

Der tabuartige Hauptbeziehungs-Zustand kommt oftmals in Form von Teufelskreisen vor, die vor allem durch negative Vorerfahrungen und negative aktuelle Erfahrungen (d.h. ungeklärten Verletzungen) genährt werden. Wer beispielsweise in einer Vorbeziehung durch Seitensprünge des Partners schwer verletzt wurde, der überträgt diese Vorerfahrung unbewusst in die neue Beziehung: aus Angst vor "gefährlichen" Themen redet er nicht über wichtige Beziehungsthemen wie Untreue und Eifersucht, um neue Verletzungen zu vermeiden. Gerade dadurch steigt aber die Gefahr eben dieser Verletzungen!

Sexsucht / Eroberungssucht (exzessives Jagdverhalten wie z.B. Flirtsucht)

Wie oben erwähnt, werden extremere Formen promisken Verhaltens zunehmend in die Rubrik "Sexsucht" eingeordnet, wobei die Betroffenen oftmals auch unter ihrem suchtartigen Verhalten leiden.

Eine Sucht-Problematik kann jedoch nicht nur bei sexuellen Praktiken, sondern auch bei suchtartigen Wiederholungen von Vorstadien wie ständiges Flirten vermutet werden. Wer als Flirtpartner schon einmal das Pech hatte, von einem derartigen "Jäger" aufgerissen worden zu sein, wird bemerkt haben, dass es dabei nur um die Eroberung als solche gegangen ist und ein beinahe panikartiger Beziehungsabbruch folgte, sobald das Verhältnis enger zu werden drohte. Wie bei einer Sucht wird vom Jäger heftig nach etwas gesucht, das befriedigt werden soll, aber in Wahrheit nicht wirklich befriedigt wird, so dass sich der gesamte Vorgang in schnellen Zyklen andauernd mit ständig wechselnden Partnern wiederholt.

Dieses klassische Jagd-Muster hat vermutlich mit der Regelung von Abstand und Nähe zu tun, die in jeder Beziehung geregelt werden müssen, hier aber zu einem Teufelskreis führen. Wegen dieses vermuteten Zusammenhangs handelt es sich nicht um ein echtes promiskes Muster, sondern in Wirklichkeit um den verzweifelten Versuch, eine Beziehung herzustellen, was aber nicht gelingt und daher nur von außen nach Promiskuität aussieht. Falls dieser verzweifelte Vesuch einer Beziehungs-Herstellung dem Jäger nicht bewusst ist (was sehr leicht der Fall sein kann), glaubt er u.U. selber, promisk und/oder beziehungsunfähig zu sein, was ihn noch tiefer in die Verzweiflung stürzen kann.

Sexueller Missbrauch und andere Traumata (z.B. Beschämung als Kind, Prügelungen, Kindesmisshandlungen) stellen oftmals unter anderem auch ein Beziehungs-Trauma dar. Besonders stark schädigend wirken erniedrigende Prügelungen oder tagelanges Schweigen / Ignorieren von Kleinkindern durch ihre allernächsten Bezugspersonen wie Mutter und Vater. Durch das Beziehungs-Trauma wurde die Nähe zu einem Menschen als lebensbedrohlich und existenzgefährlich erlebt. Daher ist es naheliegend, wenn dieses dem Missbraucher gegenüber berechtigte Erleben unbewusst auf alle späteren (potentiellen) Beziehungspartner übertragen und generalisiert wird. Wird die Berechtigung dieses Gefühls immer weiter z.B. durch Wiederholungen (z.B. durch destruktive Beziehungen) verstärkt, kann sich eine regelrechte Angst vor Nähe entwickeln. Diese sitzt meist so tief im Unterbewusstsein, dass man ihr durch den Verstand kaum beikommen kann (wie bei allen Ängsten).

Da ein Mensch aber Beziehungen und die damit verbundene Nähe genauso notwendig zum Leben wie die Luft zum Atmen braucht, lebt jemand mit einer derartigen Angst ständig in einem unaushaltbaren Zwiespalt. Ständiges suchtartiges Flirten kann ebenso wie exzessiver Konsum von One-Night-Stands als verzweifelter Versuch gesehen werden, aus diesem Zwiespalt zu entkommen.

Der Zwiespalt kann noch weiter durch Schuldgefühle verstärkt werden, die oftmals aus einem unverarbeiteten Missbrauch oder einer verdrängten Vergewaltigung übrig bleiben, und/oder mit negativen Selbstbildern zusammenhängen, die durch die (vermeintliche) Promiskuität verstärkt werden. Typisches Selbstgefühl: "ich bin /fühle mich wie eine Sau / ein Flittchen", das häufig ursprünglich vom Täter eingepflanzt wurde und durch (vermeintliche) Promiskuität am Leben erhalten oder verstärkt wird. Wenn sich der Überlebende dieser Tatsache nicht bewusst ist, sie abspaltet oder dissoziiert, hat er auch kaum Chancen, sich aus eigener Kraft aus diesem Sumpf von Gefühlen und Verhaltensweisen zu befreien.

Bei Überlebenden gibt es außer der Angst vor Nähe noch eine weitere Möglichkeit, die zu ständigen Beziehungsabbrüchen führen kann: Angst vor Sexualität. Diese ist als naheliegende Folgeerscheinung bei sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung leicht verstehbar. Diese Angst richtet sich oftmals nicht gegen Sex als Ganzes, sondern gegen bestimmte (individuell unterschiedliche) Auslöser (Trigger), die ein erfülltes Sexualleben zumindest erschweren, manchmal auch beinahe unmöglich machen können. So kann es paradoxerweise durchaus vorkommen, dass ein Sexsüchtiger in Wirklichkeit Angst vor dem hat, was er andauernd zu suchen scheint (Bewältigungs-Versuche).

Eine weitere Variante hiervon ist Angst vor (sexueller) Intimität. Intimität ist nicht dasselbe wie Sexualität - daher rühren ja auch z.T. die Unterschiede zwischen promiskem Sex und Beziehungs-Sex. Sexuelle Intimität ist stärker mit Nähe verwandt, aber nicht dasselbe - denn Nähe kann es auch ohne Sex geben. Intimität hat etwas mit "sich öffnen" zu tun, den Partner an sich heranlassen. Sexueller Missbrauch oder Vergewaltigung als Jugendlicher / Erwachsener stört oft auch die Fähigkeit, Intimität ungestört und unverfälscht genießen zu können.

Angst vor Nähe oder Sexualität / Intimität und anderes kann auch dadurch zum baldigen Beziehungsabbruch führen, dass der (zukünftige) Partner etwas davon mitbekommt (z.B. sich veräppelt fühlt), ohne die Hintergründe verstehen zu können, und dann von sich aus die Beziehung beendet (oftmals noch im Entstehen, manchmal aber auch deutlich später). Geschieht dies häufiger, kann das Selbstwert-Gefühl weiter in Mitleidenschaft gezogen werden und den (teils unbewussten) Teufelskreis der verzweifelten Partner-Suche weiter anheizen.

Lerntheorie

Sexueller Missbrauch oder Vergewaltigung fällt nach der oben gegebenen Definition zumindest teilweise unter promiskes Verhalten und kann daher als eine Sonderform von Promiskuität angesehen werden.

Der unpersönliche, gnadenlose und erniedrigende Charakter von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung hat also wesentliche Verwandtschaft mit promiskem Verhalten, bei dem die Reduktion des Gegenübers auf ein Sexualobjekt ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Wie man aus der Lerntheorie weiß, prägen die ersten Lernerfahrungen einen Menschen besonders stark. Prägungen können auch auf physiologischer Ebene stattfinden, beispielsweise bei dem sprichwörtlichen Entenküken, das einem Menschen als Mutter nachläuft, weil es ihn als erstes gesehen hat. Da die sexuellen Grundmuster sehr früh in der Evolution erfunden wurden, ist anzunehmen, dass bei ihnen Prägevorgänge eine wesentliche Rolle spielen.

Der Charakter der ersten sexuellen Beziehungen, die ein Mensch erfährt, ist daher für das restliche Leben von grundlegender Bedeutung.

"Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" sagt das Sprichwort - und meint damit den Effekt des "Stallgeruchs", nach dem es Haustiere immer wieder auf magische Weise in ihren Stall zurückzieht, auch wenn sie die Freiheit haben könnten.

Die Lerntheorie sagt also missbrauchten Kindern oder vergewaltigten Jugendlichen nicht nur voraus, dass sie sich später vorwiegend in promisken Kreisen mit promisk Gleichgesinnten besonders heimisch fühlen werden, sondern auch, dass bei ihnen sadomasochistische Praktiken und andere Formen der Erniedrigung gehäuft auftreten können, je nach dem, welche (unterschwelligen) Lernerfahrungen sie gesammelt haben. Beispielsweise resultiert aus einer Massenvergewaltigung in einer Jugendbande, bei denen jeder der männlichen Jugendlichen fast jede der weiblichen vor den Augen der anderen vergewaltigt hat, oder es zu angeblich "einvernehmlichem" Gruppensex kam (beispielsweise um in den Augen der Gruppe mehr zu gelten), ein extrem hohes Potential an promisken Vorbildern. Auch die reine Beobachtung, z.B. Zeuge einer Vergewaltigung geworden zu sein, kann eine derartige Vorbild-Wirkung mit Präge-Charakter entfalten. Auch die Vorführung harter Porno-Filme kann bei Kindern und Jugendlichen derartige Präge-Effekte entfalten.

Zum Glück weist die Lerntheorie auch Wege aus diesen Mustern: Lernerfahrungen lassen sich zwar nicht löschen, aber durch neue Erfahrungen ersetzen (siehe auch Artikel über Programmierungen).

Wiederholungszwang

In der Psychoanalyse wurde schon vor langer Zeit der seltsame Effekt beobachtet, dass Trauma-Opfer immer wieder ähnliche Traumata erneut erleben und sogar oftmals Risiken eingehen und Orte aufsuchen, an denen die Gefahr von Retraumatisierungen und Wiederholungen der immer gleichen Trauma-Art besonders hoch ist. Dieser scheinbar paradoxe Effekt (eigentlich müsste die Angst ja das Gegenteil bewirken) führte schon früh zu der Bezeichnung "Wiederholungszwang".

Ich bin immer wieder überrascht, wie oft Überlebende davon berichten, wie sie sich scheinbar ohne böse Vorahnung an Orte oder in Gruppen begeben, an denen andere Leute nicht nur das Vorherrschen promisker Verhaltensweisen erwarten würden, sondern auch Verletzungsrisiken wie z.B. Vergewaltigungen oder die Ansteckung mit gefährlichen Geschlechtskrankheiten befürchten würden (sprichwörtliche "Blauäugigkeit", die anderen nicht einleuchtet).

Der Wiederholungszwang wird von Psychoanalytikern dadurch erklärt, dass unbewusste Kräfte versuchen, das Trauma zu bewältigen. Es handelt sich demnach um unbewusste Versuche, beim nächsten Mal die Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen, und damit die Machtlosigkeit der Opferrolle zu überwinden. Dies gelingt jedoch meistens nicht (wirklich), daher wird das Trauma unendlich wiederholt.

Nach älteren psychoanalytischen Sichtweisen kann der Wiederholungszwang bereits durch Bewusstwerden (z.B. Aufdecken in der Analyse) überwunden werden; neuere analytische Schulen integrieren auch Erkenntnisse der Lerntheorie und neuerdings auch Erkenntnisse der Trauma-Forschung.

Dissoziative Wiederholungsmuster und Spaltungen

Erkenntnisse von Traumaforschern über die physiologischen Vorgänge im Gehirn beim Trauma (Dissoziation auf physiologischer Ebene) ergänzen die alten analytischen Sichtweisen. Wie im Artikel über Traumata beschrieben, schaltet das Gehirn beim Trauma in eine vollkommen andere Funktionsweise um; eine Retraumatisierung kann daher u.U. ebenfalls ein Umschalten in dissoziative Zustände bewirken,

Diese Zustandswechsel können erklären, weshalb Trauma-Opfer manchmal scheinbar keine Angst vor Retraumatisierungen in promisken Milieus zu haben scheinen (Anpassung an die Trauma-Situation und damit auch an die "Anforderungen" des Milieus).

Multiple Persönlichkeiten berichten oftmals davon, dass einige ihrer Außen- oder Innenpersönlichkeiten promiske Muster aufweisen, während andere im Gegensatz dazu dauerhafte Beziehungen anstreben, wieder andere Sex oder sogar Beziehungen als solche regelrecht ablehnen. Ähnliche Schilderungen innerer Spaltungen sind aber auch von Borderline-Diagnostizierten und anderen Überlebenden mit anderen dissoziativen Verarbeitungsmustern bekannt.

Hier sind zwei Beispiele aus meiner persönlichen Beobachtung:

Als Jung-Erwachsener war ich einmal mit meiner ersten Freundin (oder besser Quasi-Freundin; es war eher ein kurzzeitiger Beziehungs-Versuch) auf einer Abend-Disco der Jugendgruppe, in der ich sie kennengelernt hatte. Zu vorgerückter Stunde fing sie plötzlich an, sich an alle jungen Männer "ranzuschmeissen" (ich finde keinen passenderen Ausdruck; sie hat ihnen u.a. Umarmungen und Küsse aufgedrückt), die ihr irgendwie auch nur versehentlich in die Quere kamen, darunter z.B. auch mein Freund Albert, dessen Freundin daraufhin ziemlich belämmert guckte, und ein paar andere. Damals wusste ich noch nichts von dissoziativen Zustandswechseln. Mir fiel aber auf, dass sie dabei einen vollkommen anderen Gesichtsausdruck (mit "glasigen" Augen) hatte. Es wirkte wie in Trance. Später konnte sie sich überhaupt nicht daran erinnern und war entsetzt, als Albert sie mit dem konfrontierte, was sie ihrer Ansicht nach gar nicht gemacht haben konnte. Alberts Freundin war auch ziemlich entsetzt und hatte wohl auf einer Klärung bestanden (ich selbst war damals leider noch nicht zu einer solchen Konfrontation fähig).

Als ich mit meiner späteren Frau noch relativ frisch befreundet war, waren wir ebenfalls bei einer Jugendgruppe auf einer Disco-Veranstaltung. Zu vorgerückter Stunde, als nur noch der "harte Kern" wach war, fing die Schwester meiner Freundin plötzlich ein gleichartiges Verhalten mit glasigem Blick an. Anfangs dachte ich nur, sie wolle den sympathischen Jungen herausfordern, mit dem sie vorher geflirtet und getanzt hatte. Sie schmiss sich nicht nur wahllos an andere Jungs ran, sondern setzte sich einigen auch in sexuell aufreizender Pose auf den Schoß. Einige drückte sie sogar aus dem Stehen auf einen Stuhl, damit sie sich auf sie setzen und ein wenig auf ihnen reiten konnte. Alle ihre "Ziele" blockten das jedoch spätestens nach einer halben Minute oder noch viel früher ab, so dass sie sich ständig neue Ziele suchte. Ihr Blick war dabei wie in Trance. Als sie das dann auch mit mir machen wollte, blockte ich ebenfalls ab (schließlich hatte ich eine feste Beziehung mit ihrer Schwester). Als ich sie später darauf ansprach, wusste sie von überhaupt nichts und reagierte hochgradig erstaunt, was sie da angeblich gemacht haben soll.

Anmerkung hierzu: trance-artige Zustände müssen zwar nicht unbedingt mit Trauma und Dissoziation zusammenhängen (und ich möchte anhand der beiden Einzel-Beispiel-Fälle auch keine Diagnosen stellen), jedoch gibt es einen umgekehrten Zusammenhang: abgesehen von der "dissoziativen Trance" als diagnostische Störungskategorie wird vermutet (bwz. darf nach computertomographischen Untersuchungen an DIS-Patienten als einigermaßen gesichert gelten), dass dissoziative Zustandswechsel (sogenanntes "Switchen") eine starke Verwandtschaft mit Trance haben (siehe Artikel über Trauma). Zustandswechel bei DIS-Diagnostizierten lassen sich bekanntermaßen oft an den Augen ablesen. Auch die Amnesie über das Geschehen ist charakteristisch für Dissoziation.

Eine weniger schwere Form der Aufspaltung ist in der Bevölkerung relativ stark verbreitet: manche haben einen Partner fürs Bett und einen anderen für die Gefühle ("Josefs-Beziehung"). Diese Partner-Trennungen weisen zumindest auf eine Spaltung auf psychischer Ebene hin.

Zur Überwindung promisker Verhaltensweisen wird es im Allgemeinen unumgänglich sein, Dissoziationen und Spaltungen sowie Amnesien durch eine Reintegration abgespaltener Anteile zu überwinden. Dazu kann es sehr hilfreich sein, die beim Trauma abgespaltenen Gefühle wie Ekel, Wut und Schmerz wiederzufinden.

Promiske Verhaltenweisen von Überlebenden können auch von Tätern absichtlich einprogrammiert worden sein, um sie sexuell gefügig, im Extremfall auch sexuell hörig zu machen. Die Betroffenen reagieren dann auf bestimmte individuelle Trigger wie auf Knopfdruck. Wenn ein Verdacht auf derartige Programmierungen aufkommt, sollte man sich an einen Therapeuten wenden, der sich mit dieser Thematik auskennt.

Selbstschädigendes Verhalten

Wiederholtes Aufsuchen risikobehafteter promisker Milieus kann nicht zuletzt auch unter dem Aspekt selbstschädigenden Verhaltens gesehen werden (siehe Artikel über SVV).

Professionelle Promiskuität

Untersuchungen unter Prostituierten im Hamburger Rotlicht-Milieu und an anderen Orten haben ergeben, dass sich teilweise mehr als 70% von ihnen an sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit erinnern können. Eine Professionalisierung promisker Muster scheint also für einige Überlebende ein Modell für ihre Lebensgestaltung geworden zu sein.

Sexuelle und/oder psychische Hörigkeiten / Abhängigkeiten von/zu Zuhältern spielen bekanntermaßen bei Prostituierten oftmals eine große Rolle. Zuhälter leben geradezu davon, solche missbrauchs-ähnlichen Beziehungen absichtlich zu erzeugen und die Naivität und Notlage junger Mädchen auszunutzen (Stichwort Programmierungen). Bekanntlich arbeiten ja nicht alle Prostituierten freiwillig (viele eher pseudo-freiwillig, da der Not gehorchend).

Wer versuchen will, aus diesem Milieu auszusteigen, findet inzwischen professionelle Beratungsdienste - inwieweit diese mit der Behandlung von Trauma-Folgen vertraut sind, steht auf einem anderen Blatt. Hier ist jedoch ebenfalls eine zunehmende Professionalisierung und Vernetzung mit anderen Hilfsdiensten zu beobachten.

Literatur

Zum Unter-Artikel über Eifersucht.