Ausbeuterische und zerstörerische (destruktive) Beziehungen

Eine Überlebende hat mir einmal folgendes erzählt: Drogenmissbrauch, zerschlagene Möbel, Spielsucht und Geldverschwendung (ohne Unterhalts-Beiträge zu leisten) war sie von ihren früheren Partnern gewohnt. Sie fand es daher ganz normal, wenn sie von einem Beziehungspartner vergewaltigt und an den Haaren herumgeschleift wurde. Erst als er sich an ihren minderjährigen Sohn herangemacht hatte, dämmerte ihr, dass sie etwas unternehmen musste.

Dieser Artikel behandelt schwere Beziehungsstörungen, die sich von "normalen Beziehungsproblemen" unterscheiden.

Woran erkennt man eine ausbeuterische und destruktive Beziehung?

Meistens erkennt man sie daran, dass der unter einer solchen Beziehung Leidende gar nicht den ausbeuterischen und zerstörerischen Charakter dieser Beziehung selber erkennt! Was er (vielleicht, aber auch nicht sicher) als einziges erkennt, ist, dass er LEIDET.

Das klingt wie ein Widerspruch. Aber nur von außen betrachtet. Wer in einer solchen Beziehung mitten drin steckt, der sieht keinen Widerspruch.

Deswegen kommt er ja auch nicht aus dieser Art von Beziehung heraus. Wenn er den zerstörerischen Charakter erkennen würde, dann hätte er es sehr viel leichter, sich aus dieser Beziehung zu lösen.

Also: wer an etwas sehr stark leidet, sich benutzt ("wie ein Schuhabstreifer behandelt") vorkommt oder dergleichen, der sollte sich fragen, ob nicht vielleicht eine zerstörerische Beziehung hinter diesen (manchmal nicht aussprechbaren) Gefühlen stecken könnte.

Wie kommt eine zerstörerische Beziehung zustande?

Überlebende von körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch waren bereits als Kind in einer extrem zerstörerischen und ausbeuterischen Beziehung gefesselt (existentiell abhängig), ohne dass sie damals etwas dagegen machen konnten.

Gerade der Charakter sehr früher Beziehungen prägt einen Menschen für sein ganzes Leben: diese Beziehung dient als Modell für alle späteren Beziehungen. Aber auch spätere destruktive Beziehungen können sich sehr stark auswirken, vor allem wenn sie mit existentiellen Bedrohungen und Traumata verknüpft waren, die auf die unbewussten Tiefenschichten eingewirkt haben.

Eine früher erlebte sexuelle Ausbeutung prägt nicht nur die Verhaltensmuster des Opfers sehr stark, sondern auch seine Beurteilungs-Maßstäbe. Opfer sind regelrecht "blind" gegenüber Ausbeutern; anders hätten sie damals die Ausbeutungs-Situation kaum überstehen können. Diese "Blindheit" war früher einmal wertvoll für das Überleben.

Kann man destruktive Beziehungen in Ordnung bringen?

Schwer destruktive Beziehungen mit psychischer, finanzieller oder sexuellen Ausbeutung / Hörigkeit lassen sich nur in den seltensten Fällen reparieren.

Weshalb?

Weil beim Ausbeuter meistens keine wirkliche Einsicht vorhanden ist.

Wenn man ihn auf sein Verhalten anspricht, dann tut er so, als ob er Einsicht hätte. Das reale Verhalten will er jedoch in Wirklichkeit nicht ändern - im Gegensatz zu seinen Beteuerungen.

Ohne Einsicht ist es aussichtslos.

Leider kann man von außen nicht überprüfen, ob jemand Einsicht hat, oder ob er lediglich unter einem gewissen Druck so tut, als ob er Einsicht hätte.

Aber auch mit (meistens nur ansatzweise vorhandener) Einsicht stehen die Chancen sehr schlecht: der Ausbeuter profitiert ja von der Ausbeutung, weshalb sollte er sich auf eine Veränderung einlassen, die ihn nur Arbeit und Mühe kostet?

Die meisten Ausbeutungs-Muster laufen "vollautomatisch" auf einer niederen Steuerungs-Ebene ab (ähnlich zu Programmierungen; siehe auch implizite Gedächtnisse in meinem Trauma-Artikel). Daher hat ein Reparatur-Versuch mit Verstandes- und Vereinbarungs-Mitteln (Abmachungen) keine Chance. Die reine Abmachung von geändertem Verhalten nützt nichts, weil neue Verhaltenmuster nicht nur gelernt, sondern vor allem auch geübt werden müssen -- ähnlich wie man Klavierspielen nur durch Üben erlernen kann.

Falls Alkohol- oder Drogenmissbrauch mitspielt, kommen noch viel höhere Anforderungen an die Umgestaltung des Lebens hinzu.

Da schwere Ausbeutungs-Muster nur deshalb überhaupt möglich sind, weil die Realitätskontrolle nicht richtig funktioniert (die sprichwörtliche "rosa Brille"), ist ein Üben ohne professionelle Anleitung und Kontrolle nicht möglich - aus der "Übung" wird lediglich eine Wiederholung der immer noch nicht erkannten unterschwelligen Automatismen. Ohne fachliche Anleitung durch erfahrene Familien-/Beziehungs-Therapeuten läuft daher gar nichts!

Eine Beziehungs-Therapie hat nur dann eine Chance, wenn beide daran aktiv mitarbeiten wollen. Und auch entsprechenden Einsatz bringen. Ohne festen Willen gibt es keine Chance!

In den allermeisten Fällen gibt es daher nur eine einzige Alternative: die Beziehung beenden und eine neue, bessere Beziehung aufbauen.

Wie kommt man von einer destruktiven Beziehung los?

Erster Schritt: Einsicht.

Das Hauptproblem in dieser Phase sind die Verdrehungen, die von den Ausbeutern (nicht selten absichtlich! oft aber auch unbewusst / automatisch) benutzt werden, um ihr Opfer zu verwirren und um Gegenwehr zu ersticken. Diese muss man unbedingt durchschauen lernen, ansonsten ist der Teufelskreis nicht zu durchbrechen.

Das Hauptinstrument des Ausbeuters ist meistens die Verwirrung um das Wollen und die Absichten, die mit dem realen Verhalten vermischt werden. Die bisher mangelnde Unterscheidung zwischen Schein und Sein muss man unbedingt selber durchbrechen, ansonsten hört das Leiden nicht auf!

Ganz wichtig: auch wenn die Ausbeuter zu den Haupt-Bezugspersonen gehören: sie sind als Ratgeber völlig ungeeignet!

Zweiter Schritt: innere Ablösung.

Dieser Schritt kann manchen Opfern sehr schwer fallen. Für manche waren destruktive Beziehungen die einzige Art, die sie überhaupt kannten und wie sie sich enge Beziehungen mit starker innerer Bindung überhaupt nur vorstellen können! Wenn der Ausbeuter ein sehr naher Angehöriger ist oder wenn eine Art von Hörigkeit mit im Spiel ist, kann dieser Schritt das Haupt-Hemmnis darstellen. Die negativen Seiten der zerstörerischen Beziehung werden ja beim Opfer ausgeblendet oder verharmlost, und die (fast immer auch vorhandenen) positiven Seiten werden überbetont. Nicht selten wird so eine Beziehung auch als existentiell erlebt, ähnlich wie der Missbrauch existentiell war! Hiervon muss man sich unbedingt frei machen.

Wegen der "Blindheit" ist auch die Motivation zur Ablösung oft sehr schwierig. Viele schaffen es leider erst, wenn der Leidensdruck wirklich extrem geworden ist; aber auch das Aushalten extremer Leiden sind Opfer ja leider meist gewöhnt.

Ich haben von Frauen gehört, die sich zusammenschlagen, vergewaltigen und an den Haaren herumschleifen haben lassen. Erst als nicht mehr zu leugnen war, dass auch ihr Kind missbraucht wurde, haben sie unter größten Mühen die Ablösung geschafft (wobei es genügend erwachsene Opfer von Missbrauch gibt, die berichten, dass ihre Mutter auch das nicht geschafft hatte).

Das Prinzip wirkt aber auch in scheinbar weniger extremen Fällen von Beziehungen mit destruktiven Charakter wie Mobbing, Intrigen, Hetzjagden, Verletzungen der persönlichen Würde und vieles andere. Wie man in solchen Fällen angemessen reagiert, sollte man in einer Einzel-Therapie einüben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich ähnliche Muster in der nächsten Beziehung wiederholen.

Dritter Schritt: äußere Ablösung.

Auch dieser Schritt kann sehr schwer fallen, vor allem wenn existentielle Abhängigkeiten tatsächlich bestehen (z.B. finanzieller Art).

Hier kann ein neues soziales Netz mit ausgewogenen und gleichberechtigten Beziehungen sehr hilfreich sein.

Was nicht funktioniert:

... zu glauben, man könne zerstörerische Beziehungen wieder in Ordnung bringen. An einer Beziehung sind immer mindestens zwei Leute beteiligt: wenn einer von ihnen keine gleichberechtigte und von Wertschätzung geprägte Beziehung unterhalten will (auch wenn ihm das gar nicht bewusst ist), dann geht es nicht. Schlicht und einfach. Es ist sinnlos, so etwas zu versuchen. Schon gar nicht, wenn man der Ausgebeutete ist. Das hat auch einen logischen Grund: Beziehungen gehören zum ureigensten freiwilligen Bereich jeder Persönlichkeit. Man kann niemand zu einer Beziehung zwingen! Zerstörerische Beziehungen sind ja gerade von solchen Aufzwing-Versuchen geprägt. Der Teufel lässt sich nun mal nicht mit dem Beelzebub austreiben, das funktioniert nicht wirklich!

Das ist hart, und es ist traurig. Es hilft wirklich nur eins: B-E-E-N-D-E-N.

Auch wenn es eine existentiell wichtige Beziehung war.

Sonst geht das Leiden immer weiter.

Was auch nicht funktioniert:

... darauf zu hoffen, der andere würde sich irgendwann besinnen und sich ändern. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Und wenn, dann sind das Fortentwicklungen der Persönlichkeit, die Jahre brauchen! Willst du dich so lange (d.h. eventuell bis zu deinem Lebensende) noch weiterhin schlecht behandeln lassen?

Mache dir klar: was ist Hoffnung, was ist Realität?

Tipp: informiere Dich hier über Borderline-Beziehungsmuster.

Literatur