Störungen der Sexualität

Achtung, keine Splats! Triggert!
Hier steht Klartext. Wer das nicht verträgt, sollte den Artikel nicht lesen.

Der Otto-Normalverbraucher denkt bei Sexualstörungen als erstes an Potenzprobleme, Frigidität oder ähnliches. Obwohl das sicher auch Folgesymptome von sexuellem Missbrauch in der Kindheit sein können, geht es in diesem Artikel um etwas viel umfassenderes.

Auch wenn uns die Sex- und Porno-Industrie etwas anderes glauben machen will: Bei Sex geht es nicht nur um körperlich-biologische Reize und deren Befriedigung. Sex hat auch etwas mit Beziehung und Kommunikation in einer Beziehung zu tun. Mit Beziehung zu einem anderen Menschen. Eine ganz besondere Art der Beziehung.

Sexualbeziehungen gehören in den intimsten Bereich der Persönlichkeits-Sphäre. Deshalb ist dieser Bereich ja auch durch einige Tabus geschützt.

Wer bereits als Kind in eine Sexualbeziehung gedrängt wurde, die er in diesem Alter noch gar nicht ausfüllen konnte, der kann diese aus kindlicher Sicht "verrückte" und "unverständliche" Beziehung leicht als Vorbild und Muster für spätere Sexualbeziehungen nehmen. Das geschieht zunächst ganz automatisch, wie mit allem Gelernten.

Überlebende von sexuellem Missbrauch reagieren darauf (neben anderen Störungen) meist mit einem von zwei verschiedenen, scheinbar total gegensätzlichen Reaktionsmustern: entweder totale Angst vor und Ablehnung von Sexualität (oft auch Ekel), oder beinahe vollständige "Zügellosigkeit" (Promiskuität). Beide Arten schließen sich nicht gegenseitig aus und können sogar nebeneinander vorkommen. Manchmal erstreckt sich dies nur auf Teilbereiche, z.B. bestimmte Arten von Sexualität oder Sexualität mit einer bestimmten Art von Partnern.

Dunkelfeld-Untersuchungen bei Prostituierten haben ergeben, dass etwa 70% von ihnen bereits als Kind oder Jugendlicher sexuell missbraucht wurden (oder genauer: sich zum Befragungszeitpunkt daran erinnern konnten). Dieser Zusammenhang spricht eine sehr deutliche Sprache.

Wie kommen die Reaktionsmuster zustande?

Über promiske Muster kann ich nicht viel aus eigener Erfahrung sagen, da ich zu der Gruppe der Ablehnenden von Sexualität mit Partnern gehöre. Ich vermute, dass promiske Reaktionsmuster mehr mit Abspaltung und Verdrängung und deren Vertiefung (im Sinne einer Überlebens-Strategie) zu tun haben könnten als mit unbewusster Wiederholung zum Zwecke von Bewältigung oder Selbst-Therapie-Versuchen. Aber ich will da meine Hand nicht ins Feuer legen.

Auch wenn Rollenklischees von Männern ein bestimmtes Verhalten erwarten, so glaube ich nicht, dass die Wahl eines der beiden Grund-Reaktionsmuster sehr stark vom Geschlecht des Missbrauchten abhängt. Eher dürfte das Geschlecht des Täters eine Rolle spielen, denn dieser ist es ja, der die psychosexuelle Entwicklung des Kindes kräftig stört.

Viele traumatisch unbelastete Erwachsene werden kaum von sich aus auf die Idee kommen, dass Sex nicht nur schön, sondern gleichzeitig auch als ekelig empfunden werden kann. Kinder haben jedoch eine ganz andere Art von Sexualität als Erwachsene. Ein Erwachsener, der ein Kind zu der ganz anderen Art der Erwachsenen-Sexualität "verführt" oder gar zwingt, stört die Entwicklung des Kindes ganz massiv.

Bei mir waren die Gefühle von Ekel und Abscheu vorherrschend. Ich wurde mehrfach gegen meinen Willen zur Sexualitäts-Ausübung gezwungen.

Wenn man ein Kind mit (physischer oder verbaler) Gewalt dazu zwingt, dass es Spinat essen muss, wobei die Ekel- und Würge-Gefühle des Kindes übergangen und gewaltsam weggeschoben werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn es sein Leben lang eine Abscheu vor dieser einen Speise entwickelt.

Der Sexualtrieb ist jedoch etwas anderes als der Hunger. Während man den Hunger auch mit vielen anderen Speisen als ausgerechnet Spinat bekämpfen kann, gibt es bei der Sexualität weniger Wahlmöglichkeiten. Im wesentlichen sind dies drei: Sexualität mit sich selber, mit einem gleichgeschlechtlichen Partner, oder mit einem gegengeschlechtlichen Partner. Eventuell kommt noch als vierte Möglichkeit das sexuelle Interesse an bestimmten Dingen oder Gegenständen (Fetischismus) hinzu; damit sind aber die Grund-Muster erschöpft. Viel mehr an grundsätzlichen Wahlmöglichkeiten gibt es wohl nicht. Die meisten Menschen wählen eine Kombination hiervon aus.

Davon unabhängig gibt es noch die Möglichkeit, den Sexualtrieb mit anderen Trieben und Wünschen zu koppeln und zu kombinieren, beispielsweise dem Jagd-, Macht- und Erwerbstrieb bei sadistisch/masochistischen Formen.

Bei Missbrauchten kann es auch vorkommen, dass sie bei jedem der Grund-Ausübungsarten mit einem anderen der beiden Grund-Reaktionsmuster reagieren (z.B. Sex mit bestimmten Partnern total ablehen, und dafür exzessive Selbstbefriedigung üben, oder umgekehrt). Das kann sich auch in bestimmten Lebensabschnitten immer wieder ändern.

Lösungsversuche

Wenn ich mir diese Wahlmöglichkeiten systematisch vor Augen führe, dann bleibt kaum eine übrig, die ich nicht als Kind zwangsläufig und gegen meinen Willen ausüben musste. Sogar zur Selbstbefriedigung wurde ich von meiner Mutter gezwungen (bisherige These: damit sie dabei "zuschauen" konnte; inzwischen ist aber klar, dass ich mich teilweise "freiwillig" selbst befummelte, damit nicht sie den "Funktionstest" (vgl. Verdrehungen) ausführte und ich so wenigstens ein Stück Kontrolle über mich behalten konnte; das "freiwillig" steht dabei sehr in Anführungszeichen). Bei fünf verschiedenen Tätern beiderlei Geschlechts und einem breiten Spektrum exotischer Spielarten, zu denen ich gezwungen wurde, wurde mir der Appetit auf fast alles verdorben, was es gibt. Mich ekelt es selbst vor nackten Frauen in Posen - ich musste gezwungenermaßen den Posen meiner Mutter zusehen und bekam Schläge, wenn ich wegsah oder nicht Beifall klatschte. Einige dieser Erinnerungen dringen erst in letzter Zeit in mein Bewusstsein oder werden in ihrer unverdrehten Bedeutung erst jetzt erkannt -- wie so vieles alles jahrelang abgespalten, verdrängt und verdreht.

Alles auf dem Gebiet der Sexualität ist bei mir mit Ekel und Abscheu durchsetzt.

So gesehen ist es eigentlich auch kein Wunder, wenn ich am liebsten Mönch geworden wäre. Doch das geht leider auch nicht. Man kann nicht auf Dauer einen der evolutionsgeschichtlich ältesten und für die Arterhaltung relevantesten Basistriebe unterdrücken.

Unter anderem stellt sich die Frage, was wohl meine eigenen sexuellen Wünsche wären, wenn ich nicht sexuell missbraucht worden wäre. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich werde ich mich noch eine Weile damit beschäftigen müssen und noch mehr alten Schutt wegräumen müssen. Eins ist auf jeden Fall klar: ich möchte mich von niemandem mehr missbrauchen und benutzen lassen. Ich möchte auch keinen anderen missbrauchen und benutzen.

Ein Problem ist auch, dass praktische Übungen kaum in Frage kommen, weil sie die Gefahr von Wiederholungen in sich tragen und mir im Falle eines Fehlschlages noch den letzten Rest geben würden. Schließlich mündete auch meine Ehe in eine Dauer-Katastrophe, die meinen Kindheits-Erfahrungen kaum nachsteht (siehe nächster Abschnitt). Auch beim Gedanken an eine Sexualtherapie üblicher Ausprägung wird mir schlecht, und es kommt Panik hoch.

Also werde ich mich erstmal mit den Ekel-Gefühlen auseinander setzen und versuchen, diese auf konventionellem Therapie-Weg, insbesondere durch EMDR abzubauen. In letzter Zeit habe ich einiges davon gefunden und auch mit der Bearbeitung begonnen. Ich merke, dass sich dadurch bereits etwas in mir verändert, dass etwas in Bewegung gekommen ist.

Wenn ich nach einiger Zeit an diesem Artikel weiterschreibe, hoffe ich eine Lösung gefunden zu haben und vielleicht eine Empfehlung geben zu können.

Traumatisierung / Retraumatisierung als Erwachsener

Bei meiner Aufarbeitung habe ich mich bisher vorzugsweise auf die kindlichen Prägungen konzentriert, da sie bekanntermaßen oft die am weitesten reichenden Folgen haben. Das schließt aber traumatische Erwachsenen-Erfahrungen überhaupt nicht aus! Ob man nun als Kind oder als Erwachsener vergewaltigt worden ist, ändert an der Natur dieser Erfahrungen nicht viel. Als Kind hatte man allerdings weniger integrierende Bewältigungsmöglichkeiten, sondern musste eher auf dissoziative Verarbeitung ausweichen.

Eine ehemalige Foren-Teilnehmerin hat mich beim Probelesen dieses Artikels auf ein sehr wichtiges Thema hingewiesen (Zitat):

Ich bin außerdem der Meinung, dass auch OHNE sMB-Erfahrung eine Frau den Sex als eklig empfinden lernt, wenn ein Mann sie andauernd / nicht nur selten in einer Hauruck-Methode besteigt, ohne dass er die Frau im Vorspiel physisch "bereit" macht, so dass es ihr durch ihre körpereigene Gleitflüssigkeit dann auch nicht mehr weh tut. Vielleicht gibt es beim Mann ähnliches?!

Ohne das angesprochene Frauen-Thema beiseite schieben zu wollen, so muss ich doch etwas zu einem in der Männer-Welt total tabuisierten Thema sagen: Ich kann bestätigen, dass auch Männer entgegen weit verbreiteter Klischees ziemlich unangenehme Gefühle bis hin zu starken Schmerzen beim Sex haben können, insbesondere wenn eine Hauterkrankung hinzukommt und man unter starken psychischen Druck gesetzt wird, es "bringen" zu müssen.

In meinem Fall war zuerst ein Hautpilz (wie ihn sich jeder einfangen kann), dann eine total seltene Krankheit namens Lichen Sklerosus, und schließlich vom Professor einer Uniklinik eine total unbekannte Hautkrankheit vermutlich psychischer Ursache diagnostiziert worden, nachdem alles andere ausgeschlossen worden war.

Das Problem dabei ist, dass die nach wie vor funktionierenden biologischen Reiz-Mechanismen vollkommen entgegengesetzt zu den physischen und psychischen Bedürfnissen laufen. Meine Ex-Frau hat mich unter massiven Druck gesetzt, wenn ich wegen der Schmerzen nicht mehr wollte. Ich knabbere immer noch an der Frage herum, ob ich mich nun selbst ausgebeutet habe, oder was mich dazu gebracht hat, das mit mir machen zu lassen und beißendste Schmerzen auszuhalten und zu ignorieren (oder wie früher abzuspalten / wegzudissoziieren?).

Mein Therapeut hat noch eine weitere Frage gestellt, nämlich wie es kommen konnte, dass meine Ex-Frau in der Schlussphase so ein scheußlich blutendes und vernarbtes Ding in sich haben wollte und mich weiterhin unter Druck setzte anstatt das wie die meisten normal fühlenden Menschen irgendwann abzulehnen. Und eigentlich hätte sie schon längst vor dieser Schlussphase merken müssen, dass ich krank war. Es gibt wohl mehrere mögliche Antworten, die noch nicht genügend untersucht sind.

Im Übrigen muss ich noch ein weiteres verbreitetes Vorurteil ansprechen: einem Mann tut es im Regelfall gerade auch dann weh, wenn die Frau nicht feucht genug ist. Das liegt schlicht und einfach daran, dass die Eichel und die umliegenden Hautregionen so ziemlich die höchste Dichte an Nerven-Rezeptoren im menschlichen Körper haben. Zwar hat eine Frau in der Klitoris eine ähnliche Dichte und damit auch Empfindlichkeit, aber in der Scheide selbst ist diese Dichte deutlich geringer. Daher wird es im Allgemeinen (wenn keine sonstigen Einflüsse wie Scheiden-Infektionen mitwirken) einem Mann noch viel früher weh tun als einer Frau, wenn Gleitflüssigkeit fehlt. Ein Mann, der nicht an genügender Produktion von Gleitflüssigkeit mitarbeitet, schadet sich selber genauso sehr und bringt sich nebenbei um einen wesentlichen Teil seiner sexueller Erfüllung.

Wenn (häufig vorkommende!) Infektionen und andere organische Belastungen auszuschließen sind und ein Mann trotz zu geringer Feuchtigkeit "sein Ding durchzieht", dann muss meiner Ansicht nach in jedem Fall irgendwo auf der Beziehungs-Ebene etwas nicht stimmen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass er das nicht bemerkt.

Da sitzt auch das eigentliche Problem: ein Partner, dem das Wohlergehen seines Partners schnurzpiepegal ist, und der selbst auf Hinweise und Beschwerden nicht angemessen und verständnisvoll reagiert. Nicht die biologische Ebene ist das eigentliche Problem, sondern das Verhalten in der Beziehung!

Man sollte auch hinterfragen, ob hinter diesem "Ding durchziehen" nicht vielleicht auch sado-masochistische Triebe stecken könnten.

Fortsetzung des Zitats:

Was bei sMB-Betroffenen aber häufiger der Fall sein wird, ist, dass sie nicht in der Lage sind, solche "Hauruck"-Männer rechtzeitig zu verlassen, bevor sich in ihnen die Erfahrung eingenistet hat "Sex = Schmerz".

Wie wahr! Ich will nicht bestreiten, dass es wahrscheinlich mehr "Hauruck"-Männer als "Hauruck"-Frauen gibt, aber ich neige langsam zu der Auffassung, dass es auch spiegelbildliche Rollen geben kann, und dass das rechtzeitige Verlassen solcher Frauen auch für Männer ein Problem sein kann.

Die Gleichung "Sex = Schmerz" stimmt nicht im Allgemeinen, jedenfalls nicht bei verständnisvollen Partnern.

Literatur