Religiöser Missbrauch - auch in Kombination mit sexuellem und sadistischem Missbrauch

Wie ich ihn sehe und erlebt habe

Keine Splats und keine Trigger-Warnungen!

==> Wer auf Religion oder Kirche als Stütze angewiesen ist, sollte diesen Artikel nicht lesen! <==

In diesem Artikel geht um Schattenseiten von Religion. Vorab: nicht alle Anhänger von Religion befürworten das, worum es in diesem Artikel geht. Viele lehnen es sicher ab. Die "fortschrittlichen" und "aufgeklärten" Kräfte innerhalb der großen Kirchen werden sich jedoch mit dem hier beschriebenen Phänomen auseinanderzusetzen haben, das ganz real unter dem Dach ihrer Mutterorganisationen existiert. Mir geht es nicht darum, die Kirchen oder religiöse Überzeugungen als Ganzes anzugreifen, sondern auf ein schwer wiegendes Problem aufmerksam zu machen, dessen Lösung auch im Interesse vieler Christen liegt.

Durch die aktuellen Skandale (Frühjahr 2010) um Missbrauch in der Kirche, bei den Jesuiten und im Kloster Ettal ist die Öffentlichkeit auf ein Phänomen aufmerksam geworden, dessen Wurzeln nach meiner Erfahrung viel tiefer reichen als die relativ platten Diskussionen um den Zölibat vermuten lassen.

Ich unterscheide zwischen

In diesem Artikel soll es um beide Formen gehen.

Missbrauch mit der Religion (religiöser Missbrauch) ist nicht nur seelischer und psychologischer, sondern gleichzeitig / zusätzlich auch ganz realer physischer oder sexueller Missbrauch (teilweise auch mit ganz realer körperlichen Misshandlung) in einer religiös "gerechtfertigten" Sonderform. Der "ganz normale" Missbrauch ist also darin enthalten. Hier soll es vor allem um die spezielle Art der "Rechtfertigungen" gehen.

Vorab: Jede Art von Missbrauch (egal ob sexueller oder körperlich gewaltsamer oder beides) lässt sich durch nichts rechtfertigen. Durch rein gar nichts. Auch nicht durch Religion.

Missbrauch in der Kirche

Meine Missbrauchs-Erfahrungen mit Priestern

Die aktuellen Skandale (Frühjahr 2010) um Missbrauch in der Kirche, bei den Jesuiten und im Kloster Ettal haben mich dazu gebracht, meine eigenen Erfahrungen mit Missbrauch durch Priester endlich einmal systematisch zu ordnen.

Das Schlimme: ich kenne einige der in den Medien erwähnten Einrichtungen, Priester und Patres sogar persönlich.

Hier ist eine chronologische Zusammenstellung von sexuellen Übergriffen durch Priester, die ich selbst erlebt oder mitbekommen habe:

Missbrauch mit der Kirche / der Religion

Hier sind einige meiner persönlichen Erfahrungen, in verschiedene Schweregrade geordnet. Ich will damit deutlich machen, wie scheinbar "harmlos" ein Phänomen mitten unter uns anfängt, das in seinen schlimmsten Auswüchsen bis hin zu bestialischem Mord reicht.

Religiöser Missbrauch erster Stufe

In meinem Heimatdorf gibt es eine Lourdes-Grotte. Mein Vater hat sie in seiner Jugend (also lange vor meiner Geburt) mit aufgebaut. In der Grotte stand früher eine Marien-Statue. Die Madonna hatte ein hellblaues Gewand an, einen goldenden Ring um das hübsche Gesicht (Heiligenschein), und sie schwebte auf einer Wolke. Da die Grotte nicht weit vom Kindergarten entfernt ist, wurden viele Spaziergänge von den Ordensschwestern, die früher den Kindergarten leiteten, mit uns Kindern dorthin unternommen. Ich weiß noch genau, wie sie mir das Marienlied "Segne du Maria" beibrachten.

Vor einigen Jahren gelang mir in der Therapie der innere Zugang zu meinem ersten Kontakt mit dieser Lourdes-Grotte, der schon lange vor meiner Kindergarten-Zeit stattgefunden haben muss (ich konnte gerade erst laufen).

Meine erste gefühlsmäßige Haltung zu dieser Madonna war ganz anders als man sie nach den religiösen Klischeebildern erwarten würde: ich hatte vor dieser Madonnen-Figur regelrechte Angst.

Wie kommt das? Ich spürte als Kleinkind intuitiv, dass diese scheinbar so liebe und himmlische Madonna in Wirklichkeit gefährlich für mich war. Ich hatte Angst, sie könnte von ihrem Sockel herunter steigen und mir Schläge geben.

Diese Schläge gab es ganz real. Zwar nicht von dieser Madonna, dafür aber von einer anderen Madonna: meiner Mutter. Kaum konnte ich laufen, da musste ich auch schon vor der Madonnen-Figur auf einer Bank knien. Die Bank hatte die gleiche hellblau-beige Farbe wie die Holzvertäfelung meines Kinderzimmers und meiner Kindermöbel; daher vermute ich, dass sie von meinem Eltern hergerichtet und mit der gleichen Farbe gestrichen worden war.

Wenn ich es nicht schaffte, auf dieser Bank "stillzuknien" ("stillsitzen" ist nicht ganz der richtige Begriff), kriegte ich eins drauf. Und wenn meine Eltern den Rosenkranz beteten, dauerte das für meine Begriffe ewig.

Wer von Kinder-Psychologie auch nur einen kleinen Schimmer hat, dem ist klar, dass ein Kind in diesem Alter rein physiologisch gar nicht so lange stillsitzen (geschweige denn stillknien) kann, und auch gar nicht in der Lage ist, den Sinn einer solchen Übung zu begreifen. Den Sinn einer "Bestrafung" schon gleich gar nicht. Davon abgesehen, dass es einen solchen "Sinn" auch gar nicht gibt.

Schon als Kleinkind wurde mir beigebracht, dass dieser Gott angeblich "Gehorsam" fordert. Die Unterwerfung zeigt sich ja auch bildhaft im Hinknien. Der Gehorsam wurde aber in Wirklichkeit von meinen Eltern verlangt. Immer. Sogar, als meine Mutter bei mir im Bett war und mir den gleichen "Gehorsam" abverlangte, den sie auch ihrer Mutter angeblich "schuldete" (mit Hinweis auf das vierte Gebot).

Auch mein Vater langte mir eine, wenn ich beim Beten vor dem Essen nicht zum Kreuz in der Zimmerecke betete.

Das ist der Boden, auf dem in meiner Herkunftsfamilie wie selbstverständlich auch der sexuelle Missbrauch gedeihen konnte. Er wurde von meiner Mutter u.a. durch das vierte Gebot "gerechtfertigt".

Religiöser Missbrauch zweiter Stufe

Die nächste Steigerungsform dieser "Übung" habe ich ebenfalls als Kind erlebt: zur "Strafe" für ein "Vergehen" musste ich stundenlang (ein genaues Zeitgefühl hatte ich damals noch nicht) vor dem Kreuz im Wohnzimmer knien und durfte nicht wegschauen. Sobald ich wegschaute, bekam ich Schläge. Laut meiner Mutter durfte ich froh sein, dass ich dabei nicht auf Erbsen knien musste, so wie sie das selbst als Kind erlebt hatte. "Probehalber" ließ sie mich jedoch einmal auch auf Erbsen knien.

Beim Gedanken daran muss ich aufpassen, dass ich nicht dissoziativ wegdrifte.

Es ist einfach unbeschreiblich, wie sehr das höllisch weh tut (vor allem bei längerem Knien - dann versteht man den mittelalterlich anmutenden Begriff "Höllenpein") und was das mit einem macht.

So gedemütigt zu werden.

Und zwar absichtlich gedemütigt zu werden. Damit angeblich ein "besserer Mensch" aus einem werde.

Das hätten wir angeblich nötig. Dahinter steckt ein verachtendes Weltbild: angeblich sind wir Menschen wegen der Erbsünde durch und durch schlecht; wir werden angeblich schon als sündig geboren und sollten froh sein, wenn wir von der kirchlichen Lehre "angeleitet" werden - notfalls auch "zu unserem Wohle" gedemütigt.

Angeblich soll die Demut eine sehr wertvolle religiöse Tugend sein.

Das Kind, das angeblich nicht demütig genug ist, wird "zu seinem eigenen Wohle" von einer "höheren Macht" (angeblich Gott, in Wahrheit aber durch die Eltern) gedemütigt.

Im Unterschied zum religiösen Missbrauch erster Stufe soll diese "Übung" als bewusst verhängte Strafe dienen. Das passiert nicht "versehentlich", etwa aus dem Affekt über einer unruhiges Kind heraus. So etwas ist bewusst geplant, dient der Erfüllung ganz konkreter Ziele und wird durch spezielle religiöse Ideologien "gerechtfertigt".

Worum handelt es sich in Wirklichkeit?

Um Sadismus. Wirklich knallharter Sadismus, gnadenlos. Das absolute Gegenteil der Botschaft Jesu. Siehe auch Artikel über Verdrehungen.

Übrigens dürfte diese "religiöse Übung" den Tatbestand der Kindesmisshandlung auch in juristischem Sinne erfüllen und damit eine Straftat darstellen. Nur zur Information für diejenigen religiösen Fanatiker, die allen Ernstes glauben, so etwas sei ein hervorragendes Mittel zur Kindeserziehung. Also solches wurde es nämlich von meinen Eltern dargestellt. Befürworter solcher Praktiken gibt es auch heute noch im ultra-konservativ katholischen Milieu, in dem meine Eltern verkehren.

Woher kommt religiös verbrämter Sadismus?

Allgemein: die kirchliche Sadismus-Tradition ist mehr als 1000 Jahre alt. Schon vor dem Mittelalter wurde die "Züchtigung" von antiken Kirchenvätern ausdrücklich "empfohlen". Näheres kann man z.B. bei Karlheinz Deschner nachlesen.

Speziell: der Marienkult spielt bei meiner Mutter eine extreme (wenn nicht gar pathologische) Rolle. Als ich sie vor ein paar Jahren zum letzten Male sah, war in jedem Raum ihres Hauses eine Marienstatue mit Weihwasser aufgestellt. Sie geht wohl immer noch regelmäßig zu Wallfahrten, die von Priestern der "Marianischen Priesterbewegung" geleitet werden. Was hinter den Kulissen dieses sektenartigen Kultes passiert, werde ich im nächsten Abschnitt andeuten.

Bei dieser Art von sektenartigem Marienkult spielen angebliche Prophezeihungen von Maria eine Rolle, die bei verschiedenen Gelegenheiten erschienen sein soll (gelegentlich kommen sogar angebliche Erscheinungen von Jesus vor!). Am bekanntesten sind die "Marienerscheinungen" von Lourdes, Fatima und Medjugorje. Während der 80er Jahre gab es noch viele weitere angebliche Marien-Erscheinungen, in denen immer wieder vor dem dritten Weltkrieg gewarnt wurde (u.a. hätte dieser dritte Weltkrieg bei der Sonnenfinsternis 1999 stattfinden sollen). In Aufrufen zu "Weihegebeten" an Maria sollten sich die wenigen "Auserwählten", die diesen alles vernichtenden Krieg überleben sollten, ganz dem "Rosenkranz-Sturmgebet" hingeben. Durch "Sühnegebete" und "Sühneleiden" konnte man angeblich viele Seelen vor der ewigen Pein im Höllenfeuer retten.

Gegen die ewige Pein im Höllenfeuer sei ein irdisches Sühneleiden das leichtere Los. Und vor allem: man könne durch eine derartige Opferbereitschaft angeblich viel Gutes für die armen Seelen im Fegefeuer tun.

Eigentlich gehört dieser hochgradig gefährliche Unsinn in die Rubrik pathologische Verdrehungen.

Das Erschreckende daran: dieser Kult wird von der katholischen Kirche nicht nur offiziell geduldet, sondern sogar gefördert. Zumindest einige Teile dieses Marien-Kultes (u.a. die Existenz von "Marien-Erscheinungen") sind von der katholischen Kirche offiziell "anerkannt" und werden "gelehrt". Einschließlich apokalyptischer Anteile. Übrigens auch zum Leidwesen einiger fortschrittlicher Christen, die ich kenne.

In den Medien gibt es immer wieder Berichte über Verbindungen sehr hoher Funktionäre der Amtskirche zum sogenannten "Opus Dei", einer ultra-reaktionären (Geheim-)Organisation mit sektenähnlichem Charakter, die sehr ähnliche Ideologien verbreitet. Der Marienkult ist ein fester Bestandteil, wenn nicht sogar ein Wesensmerkmal fast aller fundamentalistisch-katholischen Gruppierungen und Gesellschaften.

Religiös-sadistischer Missbrauch letzter Stufe

Es gibt nichts, was man nicht noch weiter steigern könnte. Die ultimative Steigerung religiösen Missbrauchs und Sadismus' ist der bewusst in Kauf genommene Tod des Opfers, und zwar ein Tod unter bestialischen Schmerzen und Leiden. Ich habe die folgende Geschichte "nur" beobachtet. Ich schäme mich heute dafür, dass ich die Hintergründe damals nicht durchschaut und rechtzeitig eingegriffen habe.

Während meiner Studienzeit wurde ich etwa zwei- oder dreimal von meiner Mutter zu ihrem ehemaligen Jugend-Pfarrer mitgenommen, der damals Pensionär mit weit über 80 Jahren war und der Marianischen Priesterbewegung angehörte. Er hatte angeblich selber Marien-Erscheinungen erlebt und gab Bücher darüber heraus. Wenn er in den Nachbargemeinden aushilfsweise die Messe las, tat er das nach Möglichkeit auf Latein im vorkonziliarischen Ritus (d.h. vor dem Hochaltar und mit dem Rücken zur Gemeinde) -- obwohl er sich damit gelegentlich Schwierigkeiten mit seinem Bischof einfing. Dann lamentierte er, dass er sich in seinem Alter an die neumodische Messe wohl nicht mehr gewöhnen könne, und machte ein mitleidserweckendes Gesicht.

Dieser Pfarrer hatte eine Haushälterin etwa im Alter meiner Mutter.

Diese Haushälterin litt an einer rätselhaften Krankheit, die angeblich von Gott gesandt war. Sie hatte diese Krankheit angeblich freiwillig auf sich genommen, und zwar als "Sühneleiden" zur Errettung vieler Seelen aus der Hölle. Angeblich wirkte nichts vor Gott so sehr wie ein derartiges Opfer, wenn sich jemand "freiwillig" in dieser Weise total "aufopferte".

Ein Schuld- und Sühne-Kult in Reinform. Viele Leute glauben, so etwas hätte es nur im Mittelalter gegeben. Aber nein! Das gibt es auch heute noch!

Der Pfarrer erzählte mir u.a. auch vom Exorzismus, den er desöfteren hätte ausführen müssen, um sein Haus vom Teufel zu reinigen. Der Teufel sei heutzutage beinahe überall, und auf marianische Priester wie ihn hätte er es besonders abgesehen. Der Teufel würde versuchen, seine Messen und das Sühneleiden zu stören.

Ich habe seine Haushälterin nur ein einziges Mal gesehen (bei den ersten Besuchen durfte ich sie nicht sehen; erst heute schwant mir der Grund, denn der Pfarrer hatte offensichtlich Angst, dass etwas auffliegen könnte).

Sie sah unbeschreiblich aus. Ihre Knochen waren völlig verbogen. Die Form ihrer Beine und Hände hatten kaum noch menschliche Züge an sich. Es waren total unmenschliche Formen. Es erinnerte eher an einen Korkenzieher oder an einen Haufen aus verbogenen Rohren, teilweise mit fast rechtwinklig abstehenden und verbogenen Extremitäten. Der ganze Körper war mit Verbandszeug und Binden ähnlich einer Mumie eingewickelt. Diese Binden waren mit einer gelblichen eiterartigen Flüssigkeit durchnässt und stanken entsprechend. Die Binden mussten auch andauernd gewechselt werden. Es roch ähnlich wie in einem Leichenhaus, nur viel stärker. Die Frau konnte kaum reden und brachte nur einzelne Worte heraus. Ihr Brustkasten war derart verformt, dass sie kaum noch Luft kriegte. Auch ihr Kopf und das ganze Gesicht einschließlich des Mundes war verformt; sie sah nicht mehr wie ein menschliches Wesen aus.

Diese Frau wurde wie eine Heilige behandelt. Angeblich aß sie nichts außer der heiligen Kommunion und lebte damit angeblich schon seit längerem nur noch von "geistlicher Speise". Das sei ein göttliches Wunder und unbegreifliches Geheimnis. Wer zu ihr kam, kniete vor ihr nieder (ich leider auch), nachdem man zur Vorbereitung einen Rosenkranz gebetet und eine spezielle Sühne-Andacht mit vorkonziliaren Texten und Gebeten "gefeiert" hatte. Der Pfarrer erklärte mir und meiner Schwester, dass dieses von Gott geschickte Sühneleiden weniger körperliche Schmerzen, sondern mehr seelische Pein wegen der Sünden all der Leute verursachen würde, die diese Frau auf sich nehmen und stellvertretend für diese Leute übernehmen würde. Damit würden viele Seelen gerettet. Das Sühneleiden werde noch einige Wochen andauern; dann würde die Heilung erfolgen. Der Besuch bei der Frau dauerte nur wenige Sekunden, in denen sie einem die "Hand" (eigentlich passt dieser Begriff nicht für das total verbogene Körperteil) auflegte und man mit ihrem "Segen" geadelt wurde.

Meine Mutter hatte mir schon vorher erklärt, dass es gegen diese rätselhafte Krankheit kein Mittel außer dem Gebet gäbe, und dass alle ärztliche Kunst versagen würde, weil es ein von Gott geschicktes Leiden sei, das die Schulmedizin gar nicht kennen würde. Angeblich waren Ärzte dagewesen, die aber nichts gegen diese total unbekannte Krankheit hätten ausrichten können.

Einige Wochen später erfuhr ich von meiner Mutter, dass die Frau entgegen der von Maria prophezeiten Heilung überraschenderweise dennoch gestorben war, und zwar unter bestialischen Schmerzen und Leiden.

Angeblich hätte sie damit tausende von Seelen vor der Hölle gerettet.

Leider habe ich dieses tötliche Spiel damals nicht durchschaut. Später habe ich in einem Gesundheits-Lexikon die Namen von Krankheiten gefunden, die es gewesen sein könnten: z.B. Osteomalazie, Osteodystrophia deformans, Rachitis aufgrund der Mangelernährung / Vitamin-D-Mangel u.a. Die Behauptung, dass die Schulmedizin nichts dagegen machen konnte, ist in jedem Falle fragwürdig; die Frau war auf jeden Fall in keinem Krankenhaus gewesen. Heute vermute ich eher, dass der damals angeblich konsultierte Arzt möglicherweise kein Schulmediziner, sondern wohl eher so eine Art Heilpraktiker gewesen sein könnte - oder dass die Geschichte mit dem Arzt, der angeblich überhaupt nichts gegen die Krankheit machen konnte, wenigstens teilweise erlogen war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Krankheit nicht behandelbar oder wenigstens von Schmerzen erleichterbar gewesen sein soll. Rein theoretisch könnte es zwar sein, dass diese Frau jede ärztliche Hilfe abgelehnt hat (wozu sie das Recht gehabt hätte): wer und welche Ideologie hat sie jedoch dazu gebracht?

Ich habe heute das klare Gefühl: in Wirklichkeit war es ein bestialischer, sadistischer Mord - mit "Einwilligung" des Opfers!

Ich mache mir heute noch Vorwürfe, dass ich damals die Behauptungen über die angebliche Unwirksamkeit der Schulmedizin geglaubt habe.

Fazit

Im Namen Gottes wurde nicht nur im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit gemordet und verbrannt.

Auch heute noch gibt es Sadismus und versteckte sexuelle Perversion in religiösem Gewand.

Das Erschreckende: auch heute noch werden Leib, Leben und Seelen von Menschen aus religiösen Gründen in verschiedenen Schweregraden geschädigt oder gar zerstört.

Nicht versehentlich, sondern bewusst und durch religiöse Rechtfertigungen und Verdrehungen gedeckt. Es gibt nicht nur Missbrauch in der Kirche, sondern auch einen Missbrauch mit Hilfe der Religion.

Hoffnung

Ich setze einen Teil meiner Hoffnung auf diejenigen fortschrittlichen Kräfte innerhalb der Kirchen, die das Problem des religiösen Missbrauchs erkannt haben und etwas dagegen tun. Die mit den innerkirchlichen Schweinereien endlich aufräumen! Den größeren Teil meiner Hoffnungen setze ich auf eine säkulare Gesellschaft, die sich nicht von religiösen Fanatikern blenden lässt.

Wer konkret von der Thematik betroffen ist, dem rate ich, unbedingt einen neutralen Therapeuten aufzusuchen, der weder mit kirchlichen Kreisen oder anderen Gesellschaften verbandelt ist noch Religion generell ablehnt, sondern einem dabei helfen kann, einen produktiven Umgang mit transzendentalen Bedürfnissen zu finden.

Die aktuelle politische Diskussion

Als Betroffener ist es für mich eine Genugtuung, dass im Frühjahr 2010 das Thema "Missbrauch in der Kirche" in das öffentliche Rampenlicht geraten ist. Einige Fernseh-Sendungen (u.a. mit Norbert Denef) habe ich mit Interesse verfolgt.

Ich möchte einige der veröffentlichten Thesen kommentieren.

Zölibat

Es gibt ein weit verbreitetes unterschwelliges Gefühl, dass der Zölibat sowie die geschlossene Männer-Gesellschaft (mit ihrer latenten Frauen-Feindlichkeit) eine Mitursache der Missbrauchs-Skandale darstellt. Einige von der Kirche gerne zitierten Experten bestreiten dies.

Natürlich kann man die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche nicht direkt auf den Zölibat zurückführen. Natürlich gibt es sexuellen Missbrauch auch woanders. Und es stört mich, dass dieser allgemein verbreitete Missbrauch in der Diskussion zu wenig beachtet wird. Aber:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine jahrtausendealte Tradition des Umgangs mit einem der evolutionsgeschichtlich ältesten Basis-Triebe keinerlei Einfluss auf Pädophilie im Priestergewand gehabt haben soll. Auch wenn sich die Pädophilie typischerweise schon lange vorher in der Pubertät herausgebildet hat und danach angeblich nicht mehr änderbar sein soll.

Allerdings greift die populäre Diskussion um den Zölibat viel zu kurz.

Schauen wir uns die tiefenpsychologische Struktur des Problems genauer an.

Was in der Diskussion bisher kaum beachtet wurde: die zölibatäre Lebensweise kommt laut Statistiken in der Allgemeinbevölkerung mit rund 1 bis 2 % vor. Was auch immer diese deutliche Minderheit der Menschen zu ihrer Lebensweise bringt: ich behaupte, dass bei einem großen Teil dieser Menschen Sexualstörungen und/oder Beziehungsstörungen eine Rolle spielen müssen. Und zwar auch solche Sexualstörungen, wie sie häufig bei Missbrauchs-Opfern als Folgeerscheinung auftreten.

Mir ist klar, dass ich mit dieser Behauptung in eine Tabuzone vorstoße. Mir geht es nicht darum, jemandem die Berechtigung für seinen persönlichen Lebensstil abzusprechen. Ich will auf ein gesellschaftliches Problem hinweisen. Daher kommt jetzt die Begründung für meine Behauptung:

Ohne den Sexualtrieb gäbe es uns nicht. Nichts ist existentiell wichtiger für uns und unser Überleben als der Sexualtrieb. Wer ihn ideologisch(!) negiert, der handelt gegen seine eigenen Existenz-Grundlagen - er zerstört sich also selbst (SVV).

Dieser Aspekt der Selbstzerstörung ist bisher nicht genügend gewürdigt worden. Woher kommt diese kirchlich gelehrte Selbstzerstörung?

Nicht wenige Priester und Ordensleute (Männer und Frauen) sind selbst sexuell oder sadistisch missbraucht worden. Diverse Äußerungen lassen darauf schließen, dass der Opfer-Anteil in der Kirche deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung sein könnte (was jedoch wegen Amnesien und Verleugnungen nur schwer nachweisbar sein dürfte). In der Kirche gibt es also nicht nur Täter, sondern vermutlich eine sehr viel größere Menge an schweigenden Opfern.

SVV ist ein typisches sehr häufiges Verarbeitungsmuster von sexuellem Missbrauch. Bin ich der Einzige, der hier einen Zusammenhang erkennt?

Da einige Opfer auch zu Tätern werden, kommt es manchmal auch zu individuellen Rollenkonflikten.

Die Kirche als Institution steht in jedem Falle in diesem Rollenkonflikt zwischen Tätern und Opfern. Ob sie will oder nicht.

Es steht mir nicht zu, der Kirche Ratschläge zu erteilen. Ich fände es aber gut, wenn sie diesen Rollenkonflikt bewusster bearbeiten würde und die vielen Opfer in den eigenen Reihen endlich stärker wahrnehmen und ihnen nicht nur glauben würde, sondern sie stärker ermutigen würde, ihre Geschichte aufzuarbeiten.

Wenn man sich bewusst machen würde, dass die mehr oder weniger erzwungene(!) priesterlich-zölibatäre Lebensweise (ohne die man von höheren kirchlichen Ämtern ausgeschlossen ist) eine Form der Selbstverletzung darstellt und ebenso erkennen würde, dass dies eine Form der Schmerzverarbeitung darstellt und dass es andere, produktivere Formen von Schmerzverarbeitung gibt, würde es der Kirche langfristig insgesamt besser gehen.

Sadismus ist zwar auch eine Form von Schmerzverarbeitung, aber keine, die mit der Botschaft Jesu in Übereinstimmung gebracht werden kann.

Geht über zu Formen der Schmerzverarbeitung, die den Zyklus aus Gewalt und erneutem Schmerz durchbrechen!

Dazu muss man aber erst einmal die heftigen Verleugnungen durchbrechen, die jeden Missbrauchs-Betroffenen (nicht nur kirchliche) an der Aufarbeitung hindern.

Das Gute an der öffentlichen Diskussion: sie zwingt die Kirche, genauer hinzusehen und sich mit ihren eigenen Verleugnungen zu beschäftigen.

Stolperfallen im kirchlichen Aufarbeitungsweg

Als Missbrauchs-Opfer aus dem katholischen Milieu hatte ich einige spezifischen Probleme auf meinem persönlichen Heilungweg zu bewältigen. Einiges davon könnte auch für den Heilungsweg der gesamten Kirche als Gruppe relevant sein.

Literatur

Karlheinz Deschner: Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des Christentums. Econ Verlag, 1986.